„Der Cid“ von Pierre Corneilles im Deutschen Theater Berlin, Regie Alexander Lang

 

 

Dietrich Körner (links) und Kurt Böwe

 

 

Zu wunderbarem Bühnenleben erweckt

 

Huschende Gestalten im Zwielicht. Spanische Klänge. Der Ort ist Sevilla. In den Räumen des Königsschlosses (Bühnenbild Volker Pfüller) Bewegung und Spannung. Für Pierre Corneille (1606 bis 1684), für dessen klassizistische tragische Komödie „Der Cid". Alexander Lang, wieder am Deutschen Theater, hat das selten gespielte, kühl wägende Stück des Verstandes zu wunderbarem Bühnenleben erweckt.

Wenn ein Rezensent ins Schwärmen gerät, ist das a priori verdächtig. Doch ich will mich verdächtig machen. Ich will diese Arbeit Längs preisen als das Theaterereignis der bislang flauen Berliner Saison. Der Regisseur hat seine originäre Handschrift feinsinnigen, ironisch-realistischen Theaters wiedergefunden. Und zwar ohne, was mir bemerkenswert scheint, dem überkommenen Werk eine besondere Sicht aufzuerlegen.

Zunächst die Alten, die bornierten höfischen Haudegen, die ihre Kinder in die ideologische Zwickmühle zwischen Ehre, Liebe und Staatsräson stoßen. Mit hämisch-bösem Lachen erzürnt Dietrich Körners alter Graf Don Gomez den auf leisen Sohlen bieder­männisch und liebedienerisch schreitenden Don Diego Kurt Boewes. Die beiden großen Schauspieler des Hauses bieten Meisterstücke glänzender Charakterisierungskunst. Da ist nicht eine konventionelle Gebärde. Stets gefüllte ausdrucksvolle Gesten. Etwa wenn der soeben aus nichtigem höfischem Anlaß von Don Gomez geohrfeigte Don Diego wutentbrannt, aber altersschwach zum Schwert greift, Don Gomez vorsichtig auf Distanz geht, nach seiner Waffe mal schnell Ausschau hält, dann aber sich dem Wütenden stellt und ihn neuerlich demütigt.

Der in seiner Ehre verletzte Don Diego sieht nur eine Möglichkeit: Sich von seinem Sohn Don Rodrigo (Jörg Gudzuhn) rächen zu lassen. Der, stolzer Grande, tritt auf wie ein spanischer Torero, kalt-elegant, ein Liedchen trällernd. Zwar schockt es ihn, Don Gomez, den Vater seiner Geliebten Chimene, morden zu wollen, aber: Ehre ist Ehre. Also tötet er Don Gomez im Duell und liefert sich, ganz nach gängigem Kodex, der Rache Chimenes aus.

Wahrhaft kunstvoll die Verwicklungen eines Dramatikers, der sein Handwerk beherrschen mußte, um aufgeführt zu werden. Bestechend, mit welcher Akribie ihm der Regisseur die feinsten Regungen seiner Figuren ablauschte, wie er deren Haltungen und Äußerungen ausforschte. Man muß das sehen. Es läßt sich nur vage beschreiben.

Das nunancenreiche, präzise Agieren der Dagmar Manzel als Chimene beispielsweise. Das Verhalten phantastisch differenziert, der Vers (Übertragung Simon Werle) in die beredte Geste gebunden, die Sprache stets gehoben und doch nicht losgelöst vom Spiel. Welch brillante Zeichnung der Figur. Eine junge Frau, abgöttisch liebend, und doch versunken in der gesellschaftlichen Konvention wie in einem höllischen Abgrund. Weiblicher Stolz und überkommener Brauch in verheerender geistiger Verbindung. Sie fordert, obwohl sie liebt, vom König den Tod Don Rodrigos.

Don Fernande, der erste König Kastiliens (Horst Hiemer in hervorragender Studie), ein aufgeklärter absolutistischer Herrscher, sucht taktierend zu vermitteln. Er quittiert sogar großmütig, daß Rodrigo auf Geheiß des Vaters, nicht des Königs, über die anrückenden Mauren hergefallen ist, das Vaterland gerettet und zwei Könige (die ihn „Cid", ihren Herrn nennen) erbeutet hat. Die menschliche Kampfmaschine (Jörg Gudzuhn unübertrefflich), die aus der Schlacht zurückkehrt, flößt ihm Unbehagen ein. Vorsichtig zieht sich der König vor der hirnrissigen Leidenschaft des Kriegers zurück. Aber Sieg ist Sieg. Für ihn ist Rodrigos Schuld gesühnt. Doch Chimene ist unbeugsam. Weitere Verstrickung... Schließlich ein Machtwort des Königs... Theater eben.

Simone v. Zglinicki (Infantin von Spanien), Gabriele Heinz (Dienerin der Infantin), Cathlen Gawlich (Dienerin von Chimene), Udo Kroschwald (Verehrer Chimenes) und Harry Pietzsch (Don Arias) komplettieren den illustren Abend.

Stürmischer, lang anhaltender Beifall. Hingehen, sich an großer Schauspielkunst ergötzen!

 

 

Neues Deutschland, 14.Dezember 1993