„Caligula“ von Albert Camus am Deutschen Theater Berlin, Regie Uwe Eric Laufenberg

 

 

 

 

So grausam sein wie Gott

 

Albert Camus, Sohn einer Spanierin und eines elsässischen Handwerkers, schrieb »Caligula«, sein erstes Stück, 1938. Da war er fünfundzwanzig Jahre alt. Und schon überzeugt von der Sinnlosigkeit des Lebens. Die er - in abstrakter Konstruktion - anhand der Mechanismen einer Tyrannei vorführt. Sein Verdikt: Der Mensch, zumindest der herrschende, ist so grausam wie Gott.

Grotesk der Konflikt. Ausgerechnet einen Kaiser läßt Camus erkennen, daß die Welt schlecht eingerichtet ist! Derlei Erkenntnis gewinnen üblicherweise Unterdrückte. Oder weiß mir jemand einen Regenten zu nennen, dem die »Weltordnung« ungelegen gewesen wäre? Camus' Geschichte gipfelt in des Kaisers Entschluß, das Unmögliche möglich zu machen. Beispielsweise will dieser sich von Helicon, einem ehemaligen Sklaven, den Mond holen lassen. Im übrigen hofft er, eigene unumschränkte Freiheit dadurch zu erringen, daß er Untergebene foltert, vergewaltigt und mordet. Ein Irrer an den Hebeln der Macht also. Verheerend die Folgen. Just in dieser Beziehung hat das Schauspiel seine Stoßkraft bewahrt, so naiv, so gewollt, so absurd zusammengebaut es ansonsten anmuten mag.

Die gnadenlose nihilistische Orgie der Macht bereitete Uwe Eric Laufenberg (1995 Regisseur der »Slawen!« von Kushner am Maxim Gorki Theater) am Deutschen Theater in Berlin erfreulicherweise auf, ohne in billige Kolportage zu verfallen. In einem steinernen Kuppelbau (Bühnenbild Christoph Schubiger), der an archaische Zeiten erinnert und an kalte, hohe Räume der Reichskanzlei, residiert Kaiser Gaius Caligula und treibt sein aberwitziges Spiel. Martin Reinke - sprecherisch an Dieter Mann anklingend, freilich ohne dessen Plastizität der Diktion - gibt einen gefährlich ausgeflippten Führer. Ein rüder Rocker scheint sein Motorrad in die Ecke gestellt zu haben, um die verworrenen Angelegenheiten dieser Welt mal eben zu regeln. Glatzköpfig, unrasiert, barfüßig, nackt unterm Morgenmantel, ist dieser Gaius immer bereit. Etwa, um den aufmüpfigen Scipio (Bruno Winzen) mit einem öffentlichen Geschlechtsritt zu demütigen oder des Mucius Frau mal nebenher zu vergewaltigen. Seine Geliebte Caesonia (Katrin Klein charmant ordinär) drangsaliert er, tötet er. Die ihm ausgelieferten Patrizier schikaniert er, läßt er foltern, umbringen. Und dazu macht er allerhand philosophische Sprüche. Am Anfang: »Die Welt in ihrer jetzigen Gestalt ist nicht zu ertragen. Darum habe ich den Mond nötig...« Am Ende: »Wenn ich den Mond bekommen hätte, wenn die Liebe genügte, wäre alles anders.« Wobei er lügt, denn von Liebe hat er keine Ahnung.

So grausam und unberechenbar der Tyrann, seine Gefolgsleute passen sich immer wieder an. Cherea (Horst Lebinsky) hält noch auf Würde, Octavius (Horst Hiemer) immerhin riskiert das Leben. Senectus (Reimar Joh. Baur), Metellus (Volkmar Kleinert), Lepidus (Horst Manz), Patricius (Erhard Marggraf), Mereia (Rolf Ludwig) und Mucius (Michael Schweighöfer), verloschene Seelen, lavieren, um zu überleben.

Die trist-makabren Vorgänge hat der Regisseur komisch aufgelockert. In einem Zwischenspiel treten Caesonia und Helicon (Udo Kroschwald) im Stile von TV-Moderatoren auf und kündigen marktwirtschaftlich preisend das Erscheinen »der nackten Wahrheit Gottes« an. Was natürlich schief geht. Dafür geistern Jesus und Marx hilflos über die Bühne. Andererseits vertieft Laufenberg. Er montiert Ausschnitte aus Ufa- und Dokumentar-Filmen gegeneinander. »Unschuldige«, unbeschwert fröhliche wohlhabende Damen und Herren mit ihren strahlenden Tanzgirls. Dazwischen immer wieder: nackte, geschundene Leiber in Massengräbern.

Freiheit auf Kosten anderer verwirklichen zu wollen, führt ins Verhängnis. Die Geschichte ist reich an Beispielen.

 

 

Neues Deutschland, 14. November 1996