„Bumerang“ von Bernard da Costa im Renaissance-Theater Berlin, Regie Heribert Sasse

 

 

 

Spiel zwischen Scherz und Infamie

 

Anfangs blenden ungehörig drei glei­ßend hell brennende Lampen eines Übungsraumes, den Dieter Klaß dem Heribert Sasse für Bernard da Costas Schauspiel »Bumerang« auf die Bühne des Berliner Renaissance-Theaters baute. Nach flottem Szenenwechsel - Beifall fürs Personal - wird einem der Blick aufs Ge­schehen nicht mehr verleidet. Man schaut nun ins unaufgeräumte Wohnzimmer ei­ner Schauspielerin, die mit Unterricht ihr Leben fristet und soeben einem ihrer Schüler - nach vier Jahren Ausbildung! - mitgeteilt hat, er habe null Talent. Wo­rauf der sich das Leben nehmen will. Sie, mitleidsvoll und einsam ohnehin, schleppt den jungen Mann zu sich auf die Bude.

Autor Costa, Jahrgang 1939, bedient scheinbar das Klischee. Will sagen: Selbstverständlich vernaschen sich die zwei im Verlaufe der Nacht. Am nächsten Morgen jedoch war's ihnen nicht mehr als eine körperliche Pflichtübung ohne sonderliche seelische Beteiligung. Costa geht es um die Desavouierung zweier Menschen. Das hat Witz, hat Bitternis. Isabelle, die arme Schauspielerin, die es mal gerade bis zur Soubrette gebracht hatte und keine Rollen mehr angeboten bekommt; Pierre, ihr Schüler, der sie be­wunderte, nun maßlos enttäuscht ist - und eine böse Attacke reitet.

Ich verstehe, wenn französische Landsleute dem Autor vorwerfen, er trei­be entwürdigendes Spiel mit seinen Fi­guren. Pierre nämlich, anstatt des Mor­gens die Stätte flüchtiger Lust zu verlas­sen, sperrt Isabelle ein, tyrannisiert sie, fesselt sie, weil sie sich wehrt, und de­moliert ihre Wohnung. Die Vorgänge än­dern das Genre, scheinen brutalen TV-Krimis entlehnt - machen bestenfalls Sinn, sofern sie erzählen sollen, daß der junge Intellektuelle und die alternde Frau ihr Tun als willkommene Abwechslung empfinden, gar eine fast perverse Freude haben am gewaltsamen Ausleben ihrer Probleme.

Scherz oder Infamie. Heribert Sasse, Chef des Schloßpark-Theaters, bewährter Regisseur verbindlicher Unterhaltung, Meister des pointierten Dialoges, erreicht mit Geschick und Charme gerade noch Drive und Ton gediegenen Boulevards. Dank auch der Schauspieler. Jenny Gröllmann kreiert die Isabelle mit Bravour. Im Übungsraum zunächst die betont sachliche, ein wenig blasierte Lehrerin; zu Hause, in ihren vier Wänden, die praktische, sexuelle Kost nicht verachtende Frau; morgens das befriedigte Weib; so­dann die fast zusammenbrechende Künstlerin. An Jenny Gröllmann gefällt vor allem, wie sie zärtlich-ironisch Hal­tungswechsel ihrer Figur spielt, wie ihre Isabelle beispielsweise zaghaft Sehnsucht nach Liebe erkennen läßt, doch wieder verbirgt, sobald der mögliche junge Liebhaber sich endgültig als ein herzloser, offenbar tatsächlich amusischer Brutalo outet. Den Christian Wittmann, der junge Gast aus Wien, erstaunlich unaufwendig direkt und drastisch hinstellt.

Am Ende zeigt Isabelle Größe. Gede­mütigt zwar, allein gelassen im Chaos ih­rer demolierten Wohnung, lacht sie aus vitalem, ungebrochenem Herzen über den Irrsinn, den das Leben für sie parat hatte, und freut sich über die aufgehende Sonne des neuen Tages... Herzlicher Bei­fall.

 

 

 

Neues Deutschland, 27. Juni 1996