„John Gabriel Borkmann“ von Henrik
Ibsen in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Frank Castorf
Des Lebens erzene Eishand
In den Kammerspielen des Berliner Deutschen Theaters hatte Henrik Ibsens Schauspiel „John Gabriel Borkmann" Premiere. Als ein Wintermärchen von Frank Castorf. Mit all den Alfanzereien, mit denen sich dieser Regisseur überkommene Stücke untertan zu machen pflegt. Wie der Norweger Ibsen vor rund hundert Jahren seinen gescheiterten Bankdirektor Borkmann schildert, ist heute in der Tat nicht ohne wertende Komik spielbar. Ob daraus tatsächlich so ganz und gar eine groteske Mär aus dem Raritätenkabinett gemacht werden sollte, möchte ich bezweifeln.
Um seinen Lebenstraum zu realisieren, „des Goldes schlummernde Geister" zu wecken, hat Borkmann seine Liebe zu Ella Rentheim geopfert, sie gegen Geld und Posten verschachert. Dann hat er sich am Vermögen seiner Bankkunden vergriffen und ist bestraft worden. Nach jahrelanger Haft und Einsiedelei hält er verbissen noch immer an seiner Wahnidee fest.
Solche schiffbrüchigen, uneinsichtigen
Abenteurer gehören zum Alltag der bürgerlichen Gesellschaft. Für Ibsen war
Borkmann die Verkörperung des Übermenschen Nietzsches, den er ganz bewußt zu
Tode kommen ließ. Die erzene „Eishand" des Lebens faßt nach seinem Herzen.
Aus heutiger Sicht ist Borkmanns Schicksal das eines bornierten Spießers
zwischen zwei kläglich einfältigen Weibern. Die Art, wie Frau Gunhild (Bärbel Bolle),
die Mutter, und ihre Zwillingsschwester, eben jene verschacherte Ella Rentheim
(Margit Bendokat), in eiferndem Egoismus um Borkmanns Sohn Erhart kämpfen, trieft
vor Sentimentalität und falschem Pathos.
Castorfs entlarvende Bissigkeit ist nur zu
verständlich. Auch sein Engagement für den jungen Mann, der sein penetrantes
Elternhaus verläßt und mit zwei jungen Frauen davonzieht. Erhart will nicht arbeiten,
aber im Glück leben. Seine Geliebte Fanny hat offenbar das nötige Kleingeld.
Glänzend der szenische Einfall, wie Erhart (Axel Wandtke) davon schwärmt, sein Leben
zu genießen, dabei aber Fanny (Katrin Klein) als schwere Bürde schleppt.
Im Umgang mit diesem bizarren Liebespaar
funktioniert Castorfs sarkastisches Persiflieren der Vorlage. Aber er hat noch
immer kein Maß. Weder bei der Bearbeitung, noch bei deren theatralen Umsetzung
vermag er seine überquellende Phantasie zu disziplinieren. Im Scheitern des
Herrenmenschen Borkmann wittert er Bezüge zur jüngsten deutschen Vergangenheit.
Der in seinem „Wolfskäfig", dem Festsaal des Rentheimischen Gutshauses
(Bühnenbild Peter Schubert), in selbstgewählter Isolierung skandinavisch-mystisch
spintisierende Borkmann (Horst Lebinsky) — eine Symbolfigur für gewesene hiesige
politische Größe? Hier wird's abstrus. Mit dem Debakel der Spießerfamilie
Borkmann möcht' Castorf die Misere aller menschlichen Gesellschaft vorführen.
Mit Spott und Hohn, mit Gift und Galle. Nach der Devise: Nur mit Galgenhumor
läßt sich diese irre Welt ertragen.
Castorfs Assoziations-Gemenge, das —
um nur einiges anzudeuten — den völkischen Schmalz Hans Albers' bemüht, eine
Geld jonglierende Artistin, sprechende Tannen, ein abgeschnittenes und wieder eingeschraubtes
Bein, weitet sich zum überlangen Abend, der letztlich lediglich Zeugnis gibt
von einer in die eigenen Einfälle verliebten, chaotischen, höchst empfindsamen
Seele.
Was zu ertragen wäre. Wofür solidarisches
Verständnis sich findet. Aber daß dabei die Schauspielkunst zu grober
Vorstadt-Manier versimpelt, ist bitter. Staatstheater oder Stadtpfeife? Das ist
plötzlich die Frage. Castorf wirft sie auf. Thomas Langhoff wird sie beantworten
müssen.
Neues
Deutschland, 24. Dezember 1990