„Blaubart – Hoffnung der Frauen“ von Dea Loher am Maxim
Gorki Theater Berlin, Regie Aureliusz Smigiel
Liebe über die Maßen
Aller Trouble beginnt auf einem Sofa im Botanischen Garten. Da hocken zwei junge Leute und essen Eis. Sie kennen sich nicht. Er tut so, als habe er mit Frauen nichts im Sinn. Sie aber ist scharf auf ihn. Sie ringt ihm besitzergreifend Küsse ab und sogar das Eheversprechen. Dann nimmt sie Gift und stirbt. Wunderlicher Auftakt. Erst allmählich wird helle, dass man zu einem »Märchen« geladen ist.
Man sitzt im Bühnenhaus des Schiller-Theaters. Dort hat sich - auf Zeit
- das Maxim Gorki Theater einquartiert. Ausstatterin Magdalena Musial hat den
düsteren Raum für eine Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst
»Ernst Busch« eingerichtet. Gezeigt wird Dea Lohers Szenenfolge »Blaubart -
Hoffnung der Frauen«. Ein paar Glühbirnen fungieren als Sterne, drei hohe,
schmale Pyramiden auf der Drehscheibe sollen Behausungen bedeuten, das Sofa
eine Parkbank.
Symbolik. Die siebzehnjährige Julia – siehe oben! - liebt Heinrich
Blaubart über die Maßen! So sehr, dass sie für ihn sterben könnte! Und das
behauptet sie nicht nur, das tut sie auch. Sie wird zur Selbstmörderin. Womit
sie dem Blaubart ins Handwerk pfuscht; denn eigentlich ist er fürs Töten
zuständig.
Jedenfalls im französischen Märchen des Charles Perrault, das hier als
Vorwurf dient. Ein blaubärtiger Frauenmörder prüft den Gehorsam seiner Ehefrau
und tötet sie wegen ihrer Neugier. Die Geschichte ist nicht nur von den
Gebrüdern Grimm variiert worden(»Fitchers Vogel«). Tieck hat den Stoff zum
Drama »Phantasus« verarbeitet, Grétry zur Oper »Raoul«, Bartok zur Oper »Herzog
Blaubarts Burg«, Offenbach zur Operette »Blaubart«. Märchenhaft lockerer
Umgang bei dem einen, psychologischer Tiefgang beim anderen. Zumindest seit
Offenbach scheint Ironie angezeigt.
Dea Loher setzt auf Ernsthaftigkeit. Die 1964 in Bayern
geborene, jetzt in Berlin lebende Autorin fertigte ein bitteres Traktat. Da
mordet ein Mann en passant unschuldige, liebebedürftige Frauen, weil sie ihm in
ihrer Sehnsucht zu nahe kommen. Ein Horror-Szenarium. Regisseur Aureliusz
Smigiel bietet es trotz karg märchenhaft verfremdetem Bühnenbild als gängige
Normalität. Folgerichtig ist sein Damenschuhverkäufer Heinrich Blaubart, eigentlich
das reine Monster, bei Maximilian Giermann ein biederer junger Herr in
gutbürgerlichem Outfit, weder dämonisch noch gar diabolisch. Auch die übrigen
Figuren - sauber charakterisierend geführt - kommen geradewegs aus dem Alltag.
Identifikation. Gewitzte, heitere Distanz stellt sich nicht her. Wofür übrigens
auch Gitarrist Stefan Bieniek sorgt. Mit penetrant eintönigen Schlägen erzeugt
er lastende Melancholie und nervt entsetzlich.
Ein konstatierendes, nicht nach Ursachen forschendes
loses Spiel. Die Autorin schert sich kaum um Schlüssigkeit. Selbst einer
Darstellerin wie Monika Lennartz fällt es schwer, durchweg glaubwürdig zu sein.
Ihre soeben noch fidele mehrfache Witwe Eva möchte plötzlich umgebracht werden.
Eben noch nahm sie das Leben beherzt nonchalant, nun regt sie sich auf, weil
ihr Heinrich ins Bein schießt statt ins Herz. Ein bisschen schwarzer Humor denn
doch. Neben Julia (Julia Jentsch) ein zweites Frauenzimmer, das freiwillig aus dem
Leben scheidet. Die übrigen Frauen killt Heinrich gegen deren Willen - die abgeklärte,
aber einen liebenden Mann suchende Dirne Tanja (Katja Tippelt), die ziellose
Tramperin Judith (Katja Zinsmeister), die geduldige Intellektuelle Anna (Anita
Vulesica), die hysterisch erlebnishungrige Christiane (Paula Dombrowski). Die
Blinde (Anja Schneider) weiß einen
geheimnisvollen
Zauber. Sie kann den Herrn Blaubart zwar nicht sehen, aber noch nach Jahren
erschnuppert sie ihn. Und als er sich ihr nähert, fällt er tot um. Rätselhaft.
Ein »Märchen« eben doch. Und ein brauchbarer Etüden-Text für gut sprechenden,
hoffnungsvollen Nachwuchs.
Neues
Deutschland, 2. Februar 2000