„Die Binsen“ von Peter Hacks, Uraufführung am
Theater im Palast Berlin, Regie Eberhard Esche
Possierliche Märchenkomödie
„In die Binsen gehen" meint landläufig, etwas sei kaputtgegangen, habe sich zerschlagen. Peter Hacks, unser Meister amüsanter Komödien, kehrt die Sache um. In seinem zeitgenössischen Lustspiel „Die Binsen" — uraufgeführt am Theater im Palast — sucht seine Heldin Justine einen mit jenen Pflanzen massenhaft bewachsenen Landstrich auf, um sich zu erholen. Gestärkt und geläutert kehrt sie nach Berlin zur Arbeit zurück. Und wie das in einem romantischen Märchen eben so zugeht: Die quicklebendigen Binsen kommen unternehmungslustig gleich mit.
Die Justine des Peter Hacks ist ein
bemerkenswerter Charakter unserer Tage. Sie ist von solch begabter,
emanzipierter Cleverness im Berufe, daß sie für ihren Vorgesetzten Olim ein
Problem wird. Sie läßt nicht mit sich umspringen, kündigt im Handelskontor und
sucht bei ihrer Schwester Helma in der Binsen-Heide erst einmal Entspannung.
Diese Schwester ist ganz im Gegensatz zu ihr eine arge Faulpelzin und läßt sich
von einem irgendwann zum Professorentitel gekommenen Herrn Erdschlipf
aushalten. Hacks liefert da so ganz nebenher eine brillante Parodie auf
hierzulande zwar äußerst seltenes, aber gelegentlich doch anzutreffendes
eitel-geschwätziges Müßiggängertum.
Der eigentliche Punkt seiner Komödie ist der
Heldin Kummer mit der Liebe. Im Beruf steht Justine ihren Mann, aber für das
Herz fehlt der rechte Kerl. Ein argentinischer Kaufmann taugt für ein
Abenteuer, nicht für das Leben. Ihr heimischer Freund enttäuscht ob seiner
Durchschnittlichkeit. Unversehens wird der ruhige Ort in der Heide Kampfplatz
für Justine. Die fähige Mitarbeiterin soll zurückgeholt werden. Drei Männer
schließlich werben um sie in sommernächtlichem Binsen-Nebel.
Zwar kommt Hacks mit der Handlung nur
stockend voran, aber im geistvollen Meditieren über die Liebe entzückt er als Kenner.
Eine possierliche Märchenkomödie mit Scherz, Satire, Ironie
und tieferer Bedeutung. Da ist tatsächlich so etwas wie Grabbescher Zugriff auf
Wirklichkeit, freilich überhaupt nicht verbissen oder verbittert, sondern gesellig,
ergötzend, lebensbejahend. Wir brauchen derlei Lustspiele. Auf dem Kongreß des Theaterverbandes
sind sie soeben erst wieder dringlich angemahnt worden.
Dieweil wir bislang so wenig haben von dieser
Sorte und so wenig Übung im Umgang mit ihnen, tun wir uns offensichtlich schwer,
sie trefflich in Szene zu setzen. Eberhard Esche, profilierter Schauspieler am
Deutschen Theater, 1970 mit Beaumont/Fletchers „Ritter von der flammenden
Mörserkeule" als Regisseur debütierend, inszenierte „Die Binsen" im
Stil eines einschichtigen Schwanks.
Es tut geradezu weh, wenn schon zum Auftakt
Darsteller wie Vera Oelschlegel einen subalternen Vorzimmerdrachen chargieren oder
Alfred Struwe breit und hölzern einen bornierten Beamten mimen müssen. Hier
wurden die Schauspieler unterfordert. Das Pseudoidyll des arbeitsscheuen Herrn
Erdschlipf wird inszenatorisch nicht attackiert. Der pointierte Sprachwitz des
Peter Hacks setzt sich zwar meist durch, aber welch locker-souveräne, ironisch-tiefsinnige
Heiterkeit des Spiels wäre machbar gewesen mit diesen Texten.
Horst Schulze gefällt dennoch als
selbstgefällig-koketter Professor. Genannt seien Roland Hemmo als Kraftfahrer
Amsel, Dieter Knaup als Kaufmann. Karin Gregorek gibt ein energisch-selbstbewußtes,
spröd-herrisches, doch eben auch zartes, anlehnungsbedürftiges Weib. Dieser
interessanten Heldin bleibt die Regie die eigentliche Entdeckung und Aufdeckung
schuldig.
„Morgen wird dem Positiven ein Positiveres
folgen", sagt Hacks in einer seiner theoretischen Schriften über das
Stückeschreiben. „Ich bin neugierig darauf", sagt der Rezensent, und er
spricht da sicher auch im Namen des Publikums.
Neues Deutschland, 22. November 1985