„Schöne Bescherungen“ von Alan Ayckbourn am Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Uwe Eric Laufenberg
Spaß bis zum bösen Ende
Rechtzeitig zur bevorstehenden Weihnachtszeit brachte das Berliner Maxim Gorki Theater »Schöne Bescherungen« von Alan Ayckbourn und landete damit höchstwahrscheinlich einen Publikumsrenner. Wer kennt das nicht: Man trifft sich alljährlich im Kreise der Familie, um unterm Weihnachtsbaum gemütlich das Fest zu feiern, aber schwelende Konflikte lassen sich nicht verdrängen, brechen trotz aller guten Vorsätze auf.
Kein Zweifel, der 1939 im Londoner Hampstead geborene
Alan Ayckbourn, der es seit 1959 auf nahezu fünfzig Theaterstücke gebracht hat,
kennt sich gut aus bei den Menschen wie du und ich. Auch bei denen wie Onkel
Harvey, der, schon siebenunddreißig Jahre bei einem privaten Sicherheitsdienst
tätig, überall Diebe und Verbrecher wittert und Clive Morris, den ihm suspekten
Gast des Hauses, mal eben umnietet. Das aber erst gegen Ende des ziemlich
langen Stückes.
Irgendwie ist diese sarkastische Komödie vom Fließband,
routiniert hingeschrieben, dennoch feinfühlig treffend in der Charakterisierung
der Figuren und trocken realistisch in der Art, wie sie an- und auseinander
geraten. Zum Beispiel dieser Onkel Harvey, herrlich gespielt von Klaus Manchen
als ein zunächst geruhsam vor der Fernsehglotze hockender »Filmkenner«.
Gemütsvoll scheint er zu sein, ein bißchen bissig zwar gegenüber Arzt Bernard,
aber umgänglich sonst. Stutzig macht, daß er den - übrigens nie auftretenden -
Kindern Gewehre schenken will. Er entpuppt sich als gnadenlos schießwütig. Ganz
so aggressiv ist die übrige Familie nicht. Doch die zur Schau gestellte
Harmonie ist rissig.
Regisseur Uwe Eric Laufenberg hat differenziert und sehr präzis im
Detail arrangiert, wie den Leuten die sorgsam gehegte feiertägliche
Traulichkeit ungewollt zwischen den Fingern zerrinnt. Natürlich konnte die 38
Jahre alte, sexuell enthaltsame, also hochgradig hysterische Rachel (Karina
Fallenstein) nicht ahnen, was sie anrichtet, wenn sie den befreundeten jungen
Schriftsteller Clive Morris (Frank Seppeler) einlädt. Obwohl dieser Mann, wie es
heißt, bisher nur ein Buch geschrieben hat, ist er Hahn im Korb. Ihn versucht die
aus Kummer dem Suff ergebene Phyllis (Susanne Böwe exzellent), Schwester des
Hausherrn, vernachlässigte Frau des Arztes, zur Mitternacht mal eben zu vernaschen.
Kaum ist das schief gegangen, und Clive hat sich auch von Rachels verzweifelter
Liebesattacke erholt, fällt Hausherrin Belinda über ihn her. Imogen Kogge, an
der Schaubühne zu Hause und dort so ein bißchen fürs getragen Tragische
zuständig, ist wunderbar gelöst bei der Sache. Hochsensibel gibt sie die geplagte,
liebenswürdig mobile Ehefrau, die alle Arbeiten am Halse hat, zum Beispiel das Schmücken
des Weihnachtsbaumes, während ihr Mann (Till Weinheimer), ein sturer Pantoffel,
sein Hobby pflegt, nämlich mit elektrischen Geräten herumzubasteln.
Das Puppentheater, mit dem der etwas närrische Bernard die Familie
beglücken will, ist in der Tat, Onkel Harvey hat da recht, kotzlangweilig, aber
Ulrich Anschütz gibt diesen eigentlich todunglücklichen Arzt mit solch
spielerischer Hingabe an dessen stoische Egozentrik, daß man gewisse
Langstieligkeit in Kauf nimmt. Wieso sich die attraktive, nervlich zerrüttete
Pattie (Franca Kastein) von dem phlegmatischen Stiesel Eddie (Robert Lohr)
immer wieder ein Kind andrehen läßt, ist eines der offenen Geheimnisse des
Lebens, die Ayckbourn in seinem Stück eingefangen hat.
In dem schmucken Bühnenbild von Christoph Schubiger und
den geschmackvollen Kostümen von Jessica Karge entfaltet das Ensemble eine ansteckende
Spiellaune. Verbal wie szenisch jagt eine Pointe die andere. Nur selten noch
ist Lachen im Theater so befreiend, so wirklich entspannend wie hier. Obwohl
die Weihnachtstage dieser Familie ein so böses Ende nehmen, also eigentlich
Kummer angezeigt ist angesichts unsäglich entfremdeter Menschen - es macht
Spaß, zuzusehen. Hingehen, selbst urteilen.
Neues
Deutschland, 14. November 1997