„Rose Bernd“ von Gerhart Hauptmann am Schauspiel Bonn, Regie Valentin Jeker

 

 

Menschenleben auf Holz

 

Als Spielort für seine »Rose Bernd« hatte Gerhart Hauptmann eine ebe­ne, fruchtbare Landschaft gefordert mit Feldweg, mannshoher Böschung und Haselnuß- und Weißdornbüschen. Im Schauspiel Bonn, das mit dem Stück jetzt zum Theatertreffen eingeladen war, ließ sich Bühnenbildnerin Beatrix von Pilgrim einen nach rechts ansteigenden Haufen roher Bretter einfallen, auf denen die Per­sonen herumstaken, selbst im zweiten Akt, wenn sie sich eigentlich in der Wohn­stube des Christoph Flamm befinden soll­ten.

Solch abstrakter, von der Wirklichkeit abgehobener Handlungsort, das bleibt die ästhetische Kalamität, verleitet zu un­gefährem, undifferenziertem Theater. Schon zum Auftakt ist das unübersehbar. Beim Autor kommt die barfüßige Rose erregt hinter Büschen hervor und bemüht sich, einen ihrer aufgelösten Zöpfe schnell wieder zu flechten. Dann tritt Flamm hinterm Gebüsch hervor. Das heißt, die Situation soll eindeutig sein, um dem Zuschauer sofort ein klares Bild vom ausbrechenden Konflikt zu geben.

Regisseur Valentin Jeker, der mit Her­mann Wündrich eine eigene Stück-Fas­sung fertigte, postiert Rose und Flamm wie steife Figuranten auf dem Holzhau­fen, ohne eine eben stattgehabte sexuelle Begegnung der beiden auch nur anzu­deuten. Zwangsläufig schmettert der Herr Flamm sein »Im Wald und auf der Hei­de...« unsituativ plärrig in die Gegend. Die widersprüchliche Vertrautheit des ungleichen Paares wird nicht erzählt. Ro­se und Flamm (Wolfgang Rüter) argu­mentieren laut aufeinander ein, anstatt

zu zeigen, wie eine unglücklich verliebte junge Frau beginnt, sich aus einem Verhältnis zu lösen, das keine Zukunft hat.

Eine seltsam hölzern wirkende statua­rische Aufführung. Bei Valentin Jeker wird nicht sozial konkret gespielt, son­dern wohlgefälliges, menschenfreundli­ches Stadttheater gemacht. Deswegen stört es auch kaum, daß hochdeutsch ge­sprochen und der schlesische Dialekt nur als Verzierung genutzt wird. Immer mal wieder ertönt Vogelgezwitscher, Natür­lichkeit simulierend. Die meisten Aufge­regtheiten wirken aufgesetzt, eine echte Intimität für den Fall stellt sich nicht her.

Wenn man sich denn doch hinein­schaut in die übrigens gut ausgeleuchtete Stück-Präsentation auf hölzernem Grund und vor blauem, leicht bewölktem Himmels-Horizont (Licht: Thomas Röscher), dann weil Johanna Wokaleks unsenti­mentale Rose Bernd Anteilnahme er­heischt. Dies schlanke Bauernmädchen hat echte Töne in der Begegnung mit Frau Flamm (Patricia Harrison), im Sich-er-wehren gegenüber Streckmann (Thomas Klenk), auch im Umgang mit ihrem fröm­melnden Vater (Giovanni Früh) und mit August, ihrem redlichen Bräutigam (Ma­ximilian Hilbrand). Unter die Haut geht, wie sie dumpf und seelenschwer »'s is niemand d'rheeme!« haucht, wenn sie von ihrem toten Kind kommt.

Das Stück Menschenleben von Gerhart Hauptmann, dies hilflose an Männer Aus­geliefertsein einer schwangeren Frau, 1903 am Deutschen Theater Berlin ur­aufgeführt, hat an Aktualität nicht einge­büßt. Schon deswegen sollte es nicht auf eine neutralisierende, schönende und schonende Kunstebene gehoben, sondern als rauhes, krudes Leben vermittelt wer­den.

 

 

Neues Deutschland, 10. Mai 1999