„Die Bauern“ von Heiner Müller am Berliner Ensemble, Regie Stephan
Suschke
Esel hinter roter Fahne?
Die Premiere der Aufführung von Heiner Müllers »Die Bauern« am Berliner Ensemble wurde um einen Monat verschoben, weil B. K. Tragelehn, der ursprünglich vorgesehene Regisseur, die bereits begonnene Arbeit aufgab. Die Begründung (Probleme bei der Besetzung) scheint mir vage, doch mag ich darüber nicht orakeln. Daß sich Querelen um Stück und Regisseur fortsetzen, ist allerdings schon fast mystisch.
Tragelehn, Meisterschüler von Brecht, war 1961 der
Regisseur der legendären »Versuchsaufführung« mit Studenten der Berliner
Hochschule für Ökonomie, die die »>Umsiedlerin<-Affäre« auslöste, in deren
Verlauf in kunstpolitischer Engstirnigkeit zweiunddreißig Parteistrafen
ausgesprochen wurden, Heiner Müller aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen
und B. K. Tragelehn in die Braunkohle geschickt wurde.
Erst 1975 kam es an der Berliner Volksbühne in der Regie von Fritz Marquardt
zur Uraufführung des Stückes, das ursprünglich »Die Umsiedlerin oder Das Leben
auf dem Lande« betitelt gewesen war und nun »Die Bauern« hieß. Der »Beckett des
Ostens«, zu dem Müller 1961 unfreiwillig avancierte, hatte die Geschichte der
Umsiedlerin Niet (Hacks: »Eine große Darstellung einer Emanzipation«) zu einer
Komödie umgebaut über den Weg der Bauern im Osten Deutschlands von der
Bodenreform bis zu den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Die Wirkung 1975, erinnerte sich der Dichter, war
»ziemlich begrenzt«.
Zehn Jahre später hatte in Dresden eine
Aufführung nun wieder unter B. K. Tragelehn eine enorme Resonanz. Das Publikum
identifizierte sich mühelos und offenbar gern mit den Schicksalen der Bauern.
Ein dialektisch gewitztes, poetisch anrührendes elementares Volksstück fand
ungeteilten Zuspruch. Die Schlußszene, in der der reiche Bauer Treiber fast
über seine Leiche zur LPG und in den ersten Kranken-Urlaub findet, 1961 als
konterrevolutionär kritisiert, war jetzt von umwerfender Komik. Die Wirklichkeit
hatte den Text Müllers, dieses unbestechlichen Realisten, legitimiert.
Jetzt hat am Schiffbauerdamm, um die Position
für den Spielplan zu retten, Aushilfs-Intendant Stephan Suschke Hand angelegt. Noch jüngst einigermaßen fragwürdig mit »Eva - Hitlers
Geliebte« beschäftigt, bot er mit wenigen Kürzungen - etwa in Sachen
Bündnispolitik oder Republikflucht - eine respektable, spannungsvoll dichte
Inszenierung. Ich will nicht gleich jubeln, weil da ein Hauch vom epischen
Theater Brechts und allerhand von Müllers kritischem Sarkasmus zu spüren war,
sage aber gern, daß sich das Ensemble den langanhaltenden, herzlichen Beifall
wohl verdient hat.
Suschke läßt auf einer kahlen
Plattform (Bühnenbild Grischa Meyer) stilisiert agieren, als versuche er,
formale Berührungen mit dem Lehrstück des Agitprop-Theaters herzustellen.
Seiner Absicht dienen auch die aus realem Milieu herauslösenden uniformen
Kostüme (Barbara Naujok). So rücken manche Vorgänge überraschend nahe und
erhellen, daß beispielsweise der Opportunismus eines Bürgermeisters Beutler
nicht unbedingt auf DDR-Verhältnisse festgelegt ist. Veit Schubert, Star des
Abends, zeigt eine glänzende Studie dieses windig-wendigen Anpassers.
Ich kann nicht verhehlen, daß ich in Zeiten, in denen die
Mehrheit der deutschen Männer der alten Bundesländer sich die Frau wieder an
den Kochherd wünscht, mehr Aufmerksamkeit für die Umsiedlerin Niet erwartet
hätte. Mira Partecke als Niet war blaß, sprecherisch dünn, so daß der große
Vorgang der Emanzipation der Frau so gut wie verloren ging. Zumal ihr Partner,
der Säufer Fondrak (Wolfgang Krause Zwieback), sich solistisch zur Karikatur
verselbständigte, mal wie ein abgetakelter Conferencier, dann wie ein
potentieller Zuhälter herumwirtschaftete.
Eine treffliche Charakterisierung lieferte Hermann Beyer
als Parteimensch Flint, der seine Frau (Carmen-Maja Antoni) sitzenläßt, sich
ein junges Weib (Nadja Engel) anlacht und zwischen Liebe und politischem
Engagement fast aufgerieben wird. Beyer zeigt die Lauterkeit des gebeutelten,
alternden Genossen, auch die Verkrampfungen, in die Politik eine ehrliche Haut
treiben kann. Zwar im Hintergrund, aber sehr differenziert präsent Volker
Spengler als ausgebuffter Wirt Krüger. Beifall auch für die komische Liebesszene
zwischen der naiven Schmulka (Lenore Steller) und dem übereifrigen FDJler
Siegfried (Thomas Wendrich).
Nimmt man das Stück heute, scheint es raffiniert hintergründige
sozialistische Propaganda, selbst wenn zum Auftakt - als Motto der Regie? - ein
Esel hinter einer roten Fahne einhertanzt. Immerhin bewährt sich
Großraum-Landwirtschaft dort, wo sie sich seit 1990 räuberischem Zugriff
erwehren konnte. Insofern ist Müller aktueller, als dieser und jener wird wahrhaben
wollen.
Neues
Deutschland, 30 Mai 1997