„Der Bau“ von Heiner Müller, Uraufführung an
der Berliner Volksbühne, Regie Fritz Marquardt
Bau-Geschichten von theatralischem Reiz
Von der Uraufführung des „Bau" von Heiner
Müller an der Berliner Volksbühne geht ohne Zweifel ein starker theatralischer
Reiz aus. Plastisch eindrucksvolle szenarische Lösungen. Überzeugend partiell
auch das Bühnenbild (Pieter Kein). Dennoch, schaut man genauer hin, findet
sich, daß die Inszenierung das Stück arg beschränkt ins Blickfeld rückt.
Heiner Müller, wahrlich nicht der
Geschichts-Optimist unter unseren Dramatikern, gestaltete 1963/64, von Motiven
aus Erik Neutschs Roman „Spur der Steine" ausgehend, eine wichtige Phase
des sozialistischen Aufbaus unseres Landes in den frühen sechziger Jahren. „Ein
Auto und ein Fahrrad in ein Flugzeug umbaun während der Fahrt, das ist ungefähr
unsere Aufgabe" — mit dieser sinnfälligen Metapher, dem Belfert in den
Mund gelegt, umreißt Müller das ungeheure Pathos dieser Tage. Und das meint er
nicht ironisch, auch nicht besserwisserisch, das meint er direkt und aus ganzem
Herzen, vielleicht dabei etwas zu sehr in Bildern theoretisierend, auch agitierend.
Barka, der Brigadier, arbeitet mit seiner
Brigade wie ein Besessener, weniger zunächst für die neue 'Zeit, mehr zunächst fürs
Geldverdienen, ja -ergaunern. Aber die neue Zeit greift nach ihnen, vertreten
durch Donat, den Parteisekretär, durch Schlee, die junge Ingenieurin, auch
Hasselbein, den Ingenieur, und Belfert, den Oberbauleiter. Gestalten allesamt,
vom Autor außerordentlich widersprüchlich gefaßt, poetisch komprimiert, in ihrem
Kern nicht als Gebrochene, sondern als Aufbrechende. Die Brigade rebelliert
gegen den Plan — und sie führt das Dreischichtsystem ein und die Fließfertigung.
Stationen ihres Lebens, hell und grell aufgerissen, derb und drastisch in den
Konturen. Der Autor geht mit seinen Figuren nach dem Motto um, das er im Stück
formuliert: „Mit der Seele werden wir uns beschäftigen, wenn das synthetische
Eiweiß in die Serie geht. Bis dahin Ökonomie..." Diesem Motto bleibt
Müller treu, wenn er am Schluß abrißartig aufblendet, wie das Baugeschehen nun
zügiger vorangeht, wie ein neuer Geist in die Ökonomie einzieht und was aus dem
wurde, der sich „gegen den Fluß der Steine" stemmte, der „das Maul aufriß
gegen Raum und Zeit". Im Grunde macht Müller einen imposanten poetischen
Entwurf von der Überwindung der Entfremdung des Menschen im sich entwickelnden
Sozialismus, wenn er eben auch — wohl legitim — noch zaudert, schon die Seele
der Menschen ganz an diesem Prozeß teilhaben zu lassen. Donat vor allem bleibt
in seiner Liebe zu Schlee bis zum Schluß verkrustet und krude.
Regisseur Fritz Marquardt nun filtert aus dem
Stück schlankweg und vorzüglich die satirisch-ironischen Momente, verfremdet
die Vorgänge bis zur Befremdung. Anstatt den widersprüchlichen Figuren-Reichtum
in vielschichtiger Menschendarstellung zu erschließen, macht er seine
Stück-Auffassung zur Manier, die die Mehrzahl der Figuren einseitig zu Clowns
stilisiert und sie — zwar unterschiedlich konsequent — zur Primitivität
verurteilt. Die Brigade agiert als eine Garde kraftmeierisch-monströser Fläze.
Ihre fortschrittliche Entwicklung soll durch die Wegnahme einiger clownesker
Attribute signalisiert werden. Das ist so äußerlich wie simpel. Die überaus
reiche und komplizierte Gestalt des Oberbauleiters Belfert wird von Jürgen
Holtz dezent zum debilen Hampelmann denunziert. Der Parteisekretär Donat
(Michael Gwisdek) ist ein ewig gescheuchter und penetrant dozierender Unsteter,
der ständig mit gepacktem Koffer umherirrt. Ingenieur Hasselbein (Hermann
Beyer) palavert als skurriles Unikum. Wo Clownerie sich verbietet, wird pure
Natur bemüht: Die Darstellerin der Schlee darf ihren Busen ins Publikum halten.
Ich fürchte, damit wird die Inszenierung nicht attraktiver und für die Nachvollziehbarkeit
des Stückes nichts gewonnen. Gerade die Liebesszene hätte Gelöstheit statt
demonstrativer Pose verdient. Schauspielkunst kommt ins Spiel wenn Joachim
Thomaschewsky als Meister und dann als sowjetischer Experte subtil vorführt,
wie Müllers Figuren auch entdeckt und schaubar gemacht werden können. Auch bei
Jürgen Holtz (Bezirkssekretär) oder Hermann Beyer (alter Genösse) wird
erkennbar, wie viel menschendarstellerische Differenziertheit gerade bei den
Arbeitern zu erschließen gewesen wäre.
Junge
Welt, 8.September 1980