„Das letzte Band“ von Samuel Beckett am Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Thomas Langhoff

 

 

 

Abschied von der Liebe

 

Einer alten Freundschaft ver­dankt das Berliner Maxim Gorki Theater jetzt die Aufführung des Einakters „Das letzte Band" von Samuel Beckett. Ab Ende der 70er Jahre hatte In­tendant Albert Hetterle den jungen Thomas Langhoff gefördert, ihn auf seinem Wege zu einem führenden Regisseur deutscher Sprache geradezu väterlich begleitet und damit Theatergeschichte gemacht. Denn mit seinen Inszenierun­gen - u. a. Tschechows „Drei Schwestern" (1978) und „Platonow" (1984), Brauns „Übergangsgesellschaft" (1988) und Taboris „Mein Kampf (1990) - prägte Langhoff die Spielkul­tur des Ensembles des Maxim Gorki Theaters ganz entschei­dend. Jetzt kam er, inzwischen Intendant des Deutschen Theaters, eben mal rüber zu den „Gorkis". Er legte letzte Hand an, wo seine Assistentin Hedi Langhoff bereits vorgearbeitet hatte, und war bemüht, seinem nun als Schauspieler enga­gierten ehemaligen Chef einen eigenen Theaterabend zu be­reiten.

Als Ekkehard Schall 1986 in der Regie von David Leveaux am Theater im Palast den zer­rütteten alten Krapp in Becketts „Letztem Band" spielte, hockte da ein einsamer, mit der Welt hadernder, ganz of­fenbar verarmter Mann in sei­ner Bude an einem kleinen Tisch und hörte mal grimmig, mal melancholisch an, was er vor rund dreißig Jahren auf Tonband gesprochen hatte, da­mals, als er sich auf dem „Kamm seiner Lebenswelle" wähnte. Schall gab sehr ernsthaft einen verbitterten Greis, der schon lange von aller Liebe Abschied genommen hatte, vor allem von der Liebe zu den Frauen.

Albert Hetterle jetzt spielt den Kauz, den Spaßvogel, ei­nen ehemaligen Lebemann scheint es, einen alten Herrn jedenfalls, der, einst wahr­scheinlich vermögend, mit fast spitzbübischer Neugier zu­rücklauscht in sein Leben, in das Band, das er „Abschied von der Liebe" nannte. Da kann er sich erregen, auf den Tisch hauen, ironisch oder hä­misch krächzend kommentie­ren, den Kopf nachdenklich zwischen die aufgestützten Hände versenken. An wech­selnden Gesten und Haltungen fehlt es nicht. Dennoch gerät die Aufführung überraschend äußerlich.

Das beginnt schon mit dem Bühnenbild. Statt einer Bude baute Peter Schubert einen großräumigen Guckkasten in den Guckkasten des Gorki Theaters, repräsentierend ent­weder einen heruntergekom­menen Salon einer einst no­blen Villa oder ein einstiges Chefzimmer einer besonderen Behörde. Ein überlanger ordi­närer Tisch, eine nüchterne Bürolampe, ein bombastischer Kühlschrank fallen auf und ei­ne geheimdienstlich anmuten­de, fast vollautomatische Ton­band-Anlage. In welche Krapp allerdings seine Bänder höchstselbst einlegen muß! Und das wird fast zum Ereignis des Abends. Zumal man immer wieder bangt, ob das Band, erst einmal montiert, dann auch wirklich mitspielt. Doch nicht diese Technik ist wichtig bei Beckett, sondern das, was zu hören ist, und die Art und Weise, wie Krapp darauf rea­giert.

Mit 39 Jahren, „als noch Aussicht auf Glück bestand", hatte der Mann sich eingestanden, daß seine besten Jah­re dahin sind. Jetzt versucht er, sich an den lustvollen Mo­ment zu erinnern, als er da­mals auf einem See in einem Nachen zwischen Schilf eine schöne Frau liebte. Manch ei­nem Menschen wird im Leben - wenn überhaupt! - nur ein einziger solch wunderbarer Moment beschieden. Und wer schon vermochte ihn dann auch noch für sich festzuhal­ten! Hetterles Krapp bleibt lei­der zu profan, vermittelt kaum den tragischen Kontrast zwi­schen inniger Erinnerung und zermürbter Seele.

 

 

 

Neues Deutschland, 5. April 1995