„Das letzte Band“ von Samuel Beckett im Renaissance-Theater Berlin, Regie Peter Palitzsch

 

 

Ein alberner Idiot

 

 

Wenn er genüsslich und ein wenig schwülstig das Wort »Spule« in den Saal setzt, dabei das »... ule ...« mit Wonne zu »... uuuuule ...« deh­nend, jauchzen die Fans im Parkett. Vol­ker Spengler, vor Jahren Brechts feister »Baal« am Berliner Ensemble, gibt im Re­naissance-Theater den Krapp in Samuel Becketts 45-Minuten-Spiel »Das letzte Band«. Es ist dies ein Gastspiel aus Düs­seldorf in Koproduktion mit dem dortigen Schauspielhaus, wo Peter Palitzsch die nun schon legendäre szenische Miniatur aus dem Jahre 1958 inszenierte.

Gern wird aufgezählt, welch promi­nente Schauspieler dem Krapp schon Ge­stalt verliehen haben, diesem von den Mannesjahren Abschied nehmenden zermürbten alten Mann. Fritz Kortner, Bernhard Minetti, Martin Held und Gert Voss - jeder hat auf seine Weise das Erin­nern gespielt, das geistige Herauf- und Zu­rückholen der Zeit mit Hilfe eines Tonban­des, das der kerngesunde neununddreißigjährige Krapp memoirensüchtig be­sprochen hatte. Und je nach Sicht der Re­gie und Kraft des Schauspielers lebte in der Charakterstudie auch ein wenig die Gesellschaft auf, das Milieu, in dem der nun schwerhörige, kurzsichtige, unra­sierte und wirrhaarige Krapp kampiert.

Gurt Bois, dieser quirlig mobile Dar­steller, individualisierte, zog den Text ganz zu sich heran und die Situation Krapps ins Burleske, womit er auf soziale Bezüge weitgehend verzichtete. Albert Hetterle hingegen verpflanzte die Figur in ein monströses Büro, suchte eine Konkret­heit, die das Stück überforderte. Als Ekkehard Schall den Krapp 1986 im Theater im Palast gab, spielte er einen Abschied voller Grimm. Da ging einer deutlich auf kritische Distanz zu seiner Vergangenheit. Und der Zuschauer war herausgefordert, angestoßen, gesellschaftliche Hintergrün­de zu assoziieren.

Volker Spengler jetzt verfolgt kaum eine andere Absicht, als sich selbst zu produzieren. Palitzsch lässt ihn gewähren. We­der Krapps »Bude mit Kabuff links hin­ten«, noch »speckige schwarze, zu enge Hose« und »schmieriges weißes Hemd«. Ein adretter, noch rüstiger alter Herr mit leichtem Zipperlein sitzt mit verschränk­ten Armen an seinem praktisch-einfachen Arbeitstisch von IKEA und lauscht stau­nend in die Vergangenheit. Wenn er spricht, krächzt er zuweilen oder knautscht die Worte. Er kann weich und wehmütig sein, urplötzlich aber auch barsch und bärbeißig. Ein verloschenes Temperament, aber noch impulsiv und gelegentlich von geradezu fröhlicher Selbstironie. Er lässt erkennen, dass hier ein Mann resümiert, den einst ursprüngli­che Vitalität umtrieb. Dennoch bleibt die Figur erstaunlich konturenlos. Dass da ei­ner auf seine alten Tage noch eine Stern­stunde hat, eine kurze, innige Liebe von einst als den wichtigsten Moment seines Lebens begreift, teilt sich kaum mit.

Spengler, eine markante Erscheinung, hebt sich gut ab von den am blauen Him­mel dahinziehenden weißen Wolken im Bühnenhintergrund (Projektion: Pa­litzsch). Irgendwie soll man ebenfalls Ab­schied nehmen, dem Krapp nicht zu nahe kommen. Jedenfalls senkt sich langsam ein dunkler Gaze-Lappen (Einfall: Pa­litzsch) und versperrt die Sicht auf den noch einmal auflebenden Krapp, der sar­kastisch-bitter seine letzten Worte auf Band spricht: »Hörte mir soeben den al­bernen Idioten an...«

 

 

 

Neues Deutschland, 16. Januar 2001