„Maries Baby“ von Peter Hacks an den Bühnen
der Stadt Nordhausen, Uraufführung, Regie Andreas Neu
Eine alte Geschichte in heiter-heutiger Sicht
Ein gleißender Stern schwebt an einem Drahte vom Rang herunter auf die Bühne und stößt dort prosaisch-unsanft gegen das Portal. So beginnt an den Bühnen der Stadt Nordhausen „Maries Baby", ein Märchenspiel für Kinder und Erwachsene von Peter Hacks, das an diesem Theater seine Uraufführung erlebte.
Beim Autor packt der vom Himmel her
erschienene Engel des Herrn den mitgebrachten Stern aus, putzt ihn sorgfältig
und bringt ihn salopp dem König Herodes nach Jerusalem. Das ist ergötzender und
zudem souveräner im irdischen Umgang mit der alten biblischen Geschichte von
Jesu Geburt als der Einfall des Regiedebütanten Andreas Neu. Er hat die weltlich
helle Bearbeitung des Peter Hacks gewiß mit großer Artigkeit übersichtlich und
auch mit all der wundervoll-naiven Einfalt inszeniert, die den Vorgängen zukommt.
Was seiner Aufführung in dem bunt den Orient assoziierenden Bühnenbild von Hans-Joachim
Wolf fehlt, ist die dialektisch-gewitzte Pointierung, die der Autor vorgibt.
Hacks erzählt aufgeklärt materialistisch eine
Evangelienharmonie, die sich getreu an die von den Synoptikern überkommene Sage
hält und nicht etwa keck die Version der 1892 auf dem Sinaikloster gefundenen
Palimpsésthandschrift nutzt, nach der Josef „Jesum zeugete". Bei Hacks
war's schlicht ein fliegender Mensch, der die holdselige, ahnungslose junge
Marie in der grünen Laube im Garten aufsuchte. Nur der Ochse Schnauf ist Zeuge
und teilt seine Beobachtung, die er vor neun Monaten gemacht, dem Esel Hü mit.
Die Menschen wissen und ahnen rein gar nicht, wie das „Wunder" geschehen konnte.
Und Josef ist der redliche Onkel, der nun mit der schwangeren Nichte seine
liebe Not hat.
Das poetisch Reizvolle dieser Bearbeitung
ist, daß Hacks die überlieferten Hergänge erstmals ganz selbstverständlich in
mögliche soziale Zusammenhänge einbindet, womit er sie unauffällig, aber
kräftig ihrem mythischen Zuschnitt entzieht.
Bei der von Kaiser Augustus angeordneten
Volkszählung sitzt der römische Amtsrat Sulpiz an der Schreibmaschine, und
Josef hockt mit seiner Familie, mit Marie, Ochs und Esel, geduldig daneben. Alle
Tricks helfen ihm nicht, er wird Steuern zahlen müssen. Edelpöck, der Schäfer,
in dessen Stall Josef und Marie Unterschlupf gefunden haben, denkt angesichts
der heranziehenden drei Könige an die Erhöhung der Miete und an die
touristische Verwertung des Ereignisses.
Einer der Huldigenden ist Kaspar, der König
von Sachsen, das ja bekanntlich im Osten liegt. Er bringt ein großes Bier und
eine Bockwurst als Geschenk mit, das er, als Marie dankend ablehnt, an Ort und
Stelle prompt selber verzehrt. Dieser Kaspar hat in der Darstellung von Rudolf
Trommer einen drolligen Fürwitz und ist wohl auch ein wenig selbstironisch angelegt.
Aus solch augenzwinkernd-heiter geschriebenen
und ebenso gespielten Details entsteht für heutige Zuschauer, jung wie alt,
eine bedenkenswerte Geschichte: Wie ein militanter König, nämlich Herodes
(Jürgen Sebert), einen Friedensboten und möglichen künftigen Herrscher, nämlich
Maries Baby in der Krippe, umzubringen versucht, aber vom Engel daran gehindert
wird. Und wie Schäfer Edelpöcks (Wolfgang Brumm) pfiffiger Volkswitz sich trotz
aller Querelen mit Königen zu behaupten weiß...
Zu nennen noch Anke Teickner als Engel des Herrn
sowie Franz Hauser als Ochse Schnauf und Gerd Pokall als Esel Hü. Sinniger Einfall
der Regie: Wenn die beiden Tierfiguren über die so ganz und gar irdische
Herkunft des Babys ihre Beobachtung und Meinung austauschen, nehmen die Spieler
die Masken ab, so daß ein alltäglich-menschlicher Disput entsteht.
Die Zuschauer der gut besuchten Vorstellung
spendeten herzlichen Applaus. Die vornehme Zurückhaltung anderer Theater gegenüber
diesem dramatischen Kleinod unter den Bühnenmärchen kann ich nicht so recht verstehen.
Neues
Deutschland, 7. Dezember 1987