„Aufzeichnungen eines Toten“ von Armin Stolper am Nationaltheater Weimar, Regie Helfried Schöbel

 

 

Exzellente Tragikomödie

 

Michail Bulgakows »Theaterroman« blieb Fragment. Es ist nicht über­liefert, weshalb er seinen Helden Maksudow mit Selbstmord hatte aus dem Leben befördern wollen. Trifft es zu, daß er im zweiten Teil seines Romans die unglück­liche Liebe Maksudows zu schildern beabsichtigte, könnte Bulgakow - und seine ironisch-heitere Schreibweise sprä­che dafür - den paradoxen Tod eines großen Talentes aus kleinlichem Liebes­kummer anvisiert haben? Aber wozu spekulieren!

Armin Stolper, der eine Bühnen­bearbeitung des »Theaterromans« vor­legt, entschloß sich, den Schriftsteller-Eleven Maksudow wegen der Fährnisse des Stückeschreibens Selbstmord be­gehen zu lassen; äußerlich betont durch die Übernahme des zweiten Bulgakowschen Titels: »Aufzeichnungen eines Toten«. Damit hat sich Stolper eine komplizierte künstlerische Aufgabe ge­stellt. Er löst sie meisterhaft, sich als gediegener Tragikomiker ausweisend. Getreulich und wahrhaft theatergerecht zeichnet er die Lebens- und Leidens­stationen des Phantasten und Melancho­likers Maksudow auf, schmilzt er mit allerhand zeitgenössischer Zutat in unter­haltsame, geistvolle Dialoge um, was Bulgakow an Theaterinterna vom »Un­abhängigen Theater« (Moskauer Künst­lertheater) der Nachwelt preisgibt. So ist eine zutiefst tragikomische Geschichte entstanden von den Mühsalen des an­gehenden Stückeschreibers Maksudow, der zwar noch kein von der Gesellschaft rezipiertes Werk vorgelegt hat, dennoch besessen-selbstbewußt nach der Losung handelt, das schreiben zu müssen, was er selber für richtig hält. Schon solch hochgestochener Anspruch hat komische Züge, schließlich hat wahres Talent noch nie und nirgends auf andere Weise schreiben können. Zur Tragikomödie wird die Geschichte, weil Maksudow die schöpferischen Qualen solch Anspruches miterleben läßt und sich zugleich als ein weltfremd in die Egoismen eines Thea­ters verstrickter Träumer entpuppt. Brecht hätte ihm lakonisch zugerufen, der Standpunkt müsse außerhalb des Thea­ters gewonnen werden. Auch Stolper schenkt seinem Helden nichts und bewahrt sich so das Zipfelchen Wahrscheinlichkeit für   dessen Selbstmord. Diese skurrile Ausgeliefertheit an die Mächtigen eines Theaters, dieses fast ins Hysterische umschlagende, weil unerfahrene naive Verständnis all der Besonderheiten eines Theaters als erdrückende Absonderlichkeiten endet folgerichtig tragikomisch mit einem Sprung von der Kiewer Kettenbrücke.

Stolper hat die Sentenz seiner Fabel nicht vorder­gründig dargetan, sie steckt latent in der poetischen Folge seiner Bilder. Wie zugespitzt er sie meint, wird daraus ersichtlich, daß dem Selbstmord Maksudows die sich gipfelnde Auseinanderset­zung mit dem offenkundig närrischen, also doch wohl nicht ernst zu nehmenden Dirigenten Romanus vorangeht.

Mithin: Maksudow reibt sich nicht an der realen Gesellschaft kaputt, sondern am kleinkarierten Nichtbewältigen der vertrackten »Theatergesellschaft«, die da sinniger- und bezeichnenderweise »Un­abhängiges Theater« heißt. Wenn das nicht tragikomisch ist! Ja, es ist tragi­komisch, weil dieser Schwärmer und Träumer Maksudow kein krankhaft-egozentrisches Stück aus sich herausgefie­bert hatte, wofür keinerlei soziales Be­dürfnis bestand, sondern eins, das den Nerv der Massen, deren Sehnsüchte und Hoffnungen zu treffen wußte, nicht ge­dacht also als Nervenkitzel für elitäre Konventikel, sondern geschaffen in Ab­hängigkeit von und für die Sowjetgesell­schaft.

Regisseur Helfried Schöbel a. G. ak­zentuiert nicht die Tragikomödie, son­dern die Komödie. In seiner Sicht ist Held Maksudow kaum relativiert durch kon­krete Bewertungen des Widerspruches zwischen hochgestochenem Anspruch und der objektiven Unmöglichkeit, ihn in diesem engen sozialen Umfeld geltend zu machen. Der Anspruch wird ernst ge­nommen wie eine allgemeingültige Lo­sung, und Maksudow gleichsam zum Protagonisten jener Schriftsteller-Eleven, die, zwar noch unerfahren im Metier und lebensunerfahren obendrein, dennoch forsch ihre Weltschau und –Spiegelung als einzig mögliche behaupten. Insofern haben Schriftsteller in Kinderschuhen unfreiwillig komische Züge. Aber Helfried Schöbel, der behutsam Regie zu führen versteht, hat seinen Maksudow nicht der Lächerlichkeit preisgegeben. So hinreißend beherzt und jugendlich-einfältig Maksudow seinen schöpferischen An­spruch verficht, so hinreißend bieder­ beschränkt traktieren ihn seine mächti­gen Gegenspieler. Zwar mausert sich Maksudow zum Herausforderer des Obersten der Theatergewaltigen, aber das widerfährt ihm mehr zufällig, und er bleibt stecken in Hilflosigkeit.

Nun hat Helfried Schöbel mit Erwin Berner a. G. einen empfindsam-fein­sinnigen jungen Schauspieler besetzt. Die sagenhafte Naivität des liebenswer­ten Schwärmers Maksudow wird von Erwin Berner nuanciert und außerordent­lich sensibel dargestellt. Allerdings: In dieser Sicht der Figur bricht die amüsante Komödie plötzlich aus heiterer Turbulenz um in Absurdität: Der Selbstmord Maksudows wird verkündet. Diese abwegige Konsequenz ist dem Maksudow Erwin Berners kaum zuzutrauen; denn Berner macht etwas Bemerkenswertes. Er zeigt mit gewinnender Freundlichkeit, daß ein verträumter Phantast, dem die Bilder seiner Phantasie zufliegen wie Schmet­terlinge der Sonne, darob nicht Neurastheniker genannt werden sollte. Und damit entzieht der Darsteller seiner Figur im Grunde Motivationen für deren Selbstmord.

Die Gegenspieler Maksudows stellt Manfred Heine dar, auch den von Stolper gefundenen, »Herr« genannten, etwas imaginären, räsonierenden Zeitgeist, einen leicht mephistophelisch agitieren­den Mann. Dieser »Herr« ist ein profunder Kenner des »Unabhängigen Theaters«, und Manfred Heine weiß dessen Kennt­nisse dem Publikum als würzige Bonmots und mit vorzüglichem Geschmack zu servieren. Die Mächtigen der Theaterwelt allerdings, den Dramaturgen Knjashewitsch, den Schauspieler Bombardow, den Finanzdirektor Stepanowitsch, den Theaterleiter Wassiljewitsch und den Dirigenten Romanus, spielt er etwas zu sehr aus seinem eigenen Gestus, dadurch auch in der Diktion die Figuren wenig voneinander absetzend. Deutlich trifft er die trocken-berechnende Knauserigkeit des Finanzdirektors, zu allgemein und zu mobil gerät ihm der Theaterdirektor. Der aus der Ferne gleich einem Gott schaltende und waltende Obere der Theatergewaltigen ließe sich, ohne ihn grotesk und bösartig bloßzustellen, durchaus ein wenig deutlicher als senil skizzieren. Den Schauspieler Bombardow als potentiellen Freund und Bundes­genossen an der Seite Maksudows zu spielen, ist gut und trägt zur ungetrübten Heiterkeit dieses vergnüglichen Thea­terabends bei. Das Stück braucht die kluge Strategie eines erfahrenen Regis­seurs; es wäre schade, sollte es hier und da zur Klamotte herunter gemimt werden.

 

 

 

Theater der Zeit, 12/1976