„Atem“ von Samuel Beckett vom Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Uwe Eric Laufenberg

 

 

 

Nur ein arroganter Jux?

 

Mit einem arroganten, theatralisch läppischen Jux eröffnete das Maxim Gorki Theater die Saison 97/98 der Berliner Schauspielbühnen. Daß die bundesdeutsche Justiz von der Politik angehalten ist, die DDR zu delegitimieren, hat sich herumgesprochen. Daß auch die Medien dies Geschäft betreiben, und zwar bienenfleißig, ist kein Geheimnis. Wenn jetzt ein Theater beflissen mitwerkelt, wundert das schon nicht mehr. Es gehört nun einmal zur ideologischen Etikette in diesem Land, den gescheiterten Versuch einer antikapitalistischen Gesellschafts-Konzeption zu diffamieren. Das Staatsratsgebäude und Samuel Becketts »Atem« werden instrumentalisiert, um Westdeutschen ihr verzerrtes DDR-Bild zu bestätigen und fröhlich Grusel über den Rücken zu jagen.

Becketts absurdes 35-Sekunden-Szenchen »Atem« wurde 1969 in New York uraufgeführt, und zwar als Prolog zu Kenneth Tynans Sex-Revue »Oh! Calcutta!« Der Autor fordert, dem Zuschauer fünf Sekunden Zeit zu lassen, auf der Bühne Schrott zu erkennen. Bei wechselnder Beleuchtung soll sodann ein Schrei ertönen, das Wimmern eines Neugeborenen, vernehmliches Ein- und Ausatmen, noch ein Schrei. Auslegbar dieser abstrakte Scherz als die auf den ästhetischen Punkt gebrachte Erkenntnis, daß das Leben nicht mehr ist als ein weher Schrei in einem verhüllten Dasein.

Dieser Einfall Becketts muß für eine Polit-Performance herhalten. In dem Haus, das zwischenzeitlich der Bundeskanzler okkupiert, wird »Atem der Geschichte« zelebriert, vor allem das im Orkus versunkene Land verspottet, speziell das Protokoll bei Empfängen des Staatsrates. Die aus der Provinz zugereisten leitenden Wessis Uwe Eric Laufenberg (Frankfurt/Main) und Bernd Wilms (Ulm) und ihre Mitarbeiter führen vor, wie sie glauben, sei alles zugegangen.

In einem inszenierten Gedränge werden Nummern an die Besucher verteilt. Freundlich-aufdringliche Hostessen komplimentieren in einen Warteraum. Ich hatte Muße, darüber nachzudenken, daß draußen ein toter Platz im Dunkeln lag mit einem von politischer Willkür geschlossenen Volkshaus, von den Neun-Groschen-Blättern »Palazzo Prozzo« genannt. Ich verglich mit dem geplanten Monumentalbau, den ich in einer Ausstellung im Foyer gesichtet hatte. Mausoleum des Volkes? Berliner Feldherrnhalle? Protz-Monster des Kapitals?

Ende der Meditation. Autoritär wurde meine Nummer aufgerufen. Ich durfte den Sitzungssaal betreten, wo Schauspieler Dieter Wien emphatisch referierte. Noch ehe ich dahinter kam, worum es ging (Koketterie mit der RAF?), wurde ich weiterdirigiert, und zwar in den langen Gang vor dem Bankettsaal, wo man das ehemalige Personal persiflierte. Ein Angestellter rief mehrfach: »Wer hat Deutschland gespalten?« Welch substantieller Frage die Performance nicht gewachsen war.

Schließlich wird man in den Saal gebeten. Dort tritt unter Mitwirkung von Künstlern der Staatsoper der »sterbende Schwan« (nach der Musik Saint-Saens') auf, bei dessen erhabenen Dahinscheiden allerhand Leute bedauernd ein- und ausatmen. Eben diese Leute entpuppen sich prompt als muntere Agitatoren und fallen über die Besucher her. Es könnte fast noch lustig werden, erblickte man nicht auf der Empore, ganz im Dunkeln, zwei uniformierte Wachposten.

 

 

 

 

Neues Deutschland, 8. September 1997