„Antonius und Cleopatra“ von Shakespeare im Berliner Ensemble, Regie
Peter Zadek
Regierende im eiskalten Poker um die Macht
Ein Spielpodest vor das Bühnenportal gebaut, und schon scheint der Zuschauerraum des Berliner Ensembles mit seinen Rängen und Logen in das Globe-Theater Shakespeares verwandelt. Mit des weiteren ein paar Stühlen auf dem Podest und ansonsten mit neutralem gelbem Horizont und gelbem Rückvorhang schaffte Bühnenbildner Wilfried Minks eine praktikable Spielstätte für eine Historie des englischen Dramatikers. A priori stehen die Schauspieler im Zentrum des Geschehens. Und sofort ist man neugierig auf die Regie. Hat sie etwa versucht, für „Antonius und Cleopatra" auch einen Zipfel einstiger elisabethanischer Darstellungskunst zu erhaschen?
Norma Moriceau, zuständig für die Kostüme, verblüfft mit Opulenz.
Triumvir Antonius, der verliebte Römer, in der Robe eines Beduinen. Cleopatra,
Königin von Ägypten, in exotischer Pracht. Ihr Gefolge in faszinierenden
orientalischen Masken. Aber: des Eroberers Truppe in khakifarbenen Uniformen,
erinnernd an europäische Kolonialarmeen. Also: kein Versuch, Atmosphäre der Renaissance
zu beschwören, sondern schon beim Kostüm die derzeit übliche Simultanität der
Epochen. Man ist denn auch gar nicht überrascht, wenn die Soldaten des Antonius
als Landsknechte mit Schwert und MP und die Herrschenden in Rom mit Frack und
Zylinder ins Treffen geführt werden. Shakespeares Trauerspiel als Historie und
als Eifersuchtsdrama im Stile des 20. Jahrhunderts. Strindberg läßt grüßen.
Das heißt, Regisseur Peter Zadek entschied sich nicht für große Geste
und gehobene Sprache, sondern für Natürlichkeitsspiel und lockere Konversation.
Er entsprach damit der „Veralltäglichung" des Textes, die Elisabeth
Plessens burschikose deutsche Fassung anbietet. Der historische Gegenstand, die
Erschütterung eines Weltreiches durch die Liebeseskapaden eines seiner Herrscher
mit tödlichen Folgen vor allem für das Fußvolk, wird gelassen abgehandelt wie
ein alltägliches Ereignis. Das ist einerseits verblüffend realistisch, denn es
erzählt, daß sich die Machtmechanismen der Gesellschaft seit den Proskriptionen
der römischen Triumvirn nicht einen Deut geändert haben. Das ist andererseits
schädlich für die Präzision vor allem des sprecherischen Ausdrucks. Auch gerät Haupt-
und Nebensächliches zuweilen zu gleichwertig.
Dennoch wird klar: Hier pokern Regierende eiskalt um die Macht. Antonius
kann durch Heirat mit Caesars Schwester Octavia zunächst das Ärgste abwenden,
aber dann schätzt er seine Kräfte falsch ein, stellt ihm seine Überheblichkeit
ein Bein. Gert Voss, dieser hochsensible, fast überdifferenzierte, auch immer
irgendwie eitel charmierende Darsteller, zeigt einen besessen liebenden Antonius,
einen Mann, der bis zur Hysterie eifersüchtig ist, den die körperliche Nähe
Cleopatras immer wieder schwach werden läßt. Voss hat Phasen, in denen er in
ausdrucksfreudiger Spiellust eine solche Fülle von Details offeriert, daß die Beredsamkeit
leidet. Und er hat schöne Szenen. Ich nenne den Moment, da ihm die Geliebte
eine herunterhaut und er sich aus der Verblüffung in männliche Beherrschung rettet.
Eva Mattes hat in ihrem Spiel fließender Bewegungen eine fraulich-königliche
Würde, die überzeugt, wenngleich mir ihre Cleopatra zu sehr auf ihre weiblichen
Reize vertraut und sie zuwenig bewußt verführerisch einsetzt.
Erotische Körperlichkeit demonstrieren Deborah Kaufmann und Gaby Herz
als die Dienerinnen Charmian und Iras. Veit Schubert ist ein glatter,
emotionsloser Caesar, Jaecki Schwarz ein saturierter Lepidus, Martin Seifert
ein feister Maecenas, Dieter Knaup ein trockener Agrippa. Georg Bonn agiert als
Pompejus unausgeglichen. In unterschiedlichen Aufgaben fallen Hermann Beyer,
Hans Fleischmann, Urs Hefti und Götz Schulte auf.
Zadek macht ungewollt bewußt, woher die berühmten Haupt- und
Staatsaktionen des frühbürgerlichen deutschen Theaters, die weinerlichen Lustspiele
und die Rührstücke letztlich stammen. Bei Shakespeare gehörte alles noch zusammen,
waren es integrierte Bestandteile
seines wundervoll komplexen Theaters für ein naives, erlebnishungriges Publikum,
das nur zu bereit war, mit großen Helden zu leiden. Und heutzutage? Kein
Mitleid für den Militär und Politiker Antonius, der für seine Bett-Leidenschaft
Krieg führt und Menschen verheizt. Sein Sterben ist nicht einmal traurig, eher
komisch. Wohl kaum eine versteckte Träne im Zuschauerraum. Auch nicht für das Hinscheiden
seiner Geliebten durch Schlangenbiß. Und keine Überraschung darüber, daß die
Regierenden scheinheilig traurig unverzüglich zur Tagesordnung übergehen. Zadek
arbeitete zurückhaltend, fast unauffällig mit distanzierenden Verfremdungen. So
machte er Shakespeares selten gespielten historischen „Schinken" gerade
noch genießbar. Viel Beifall.
Neues
Deutschland, 20.Oktober 1994