„Die Antigone des Sophokles“ von Bertolt Brecht am Stadttheater Chur,
Regie Fritz Bennewitz
Allein in Traditionen befangen
Neuinszeniert am Stadttheater Chur in der Schweiz hat DDR-Regisseur Fritz Bennewitz „Die Antigone des Sophokles"' in Bertolt Brechts Bearbeitung nach der Hölderlinschen Übertragung. Das Werk war 1948 in ebendiesem Theater mit Helene Weigel in der Titelrolle und in der Regie des Autors und Caspar Nehers uraufgeführt worden. Was Brecht erhofft hatte, trat ein — dem deutschen Theater war eine große Schauspielerin wiedergewonnen, die rund ein Jahrzehnt keine Bühne hatte betreten können. Allein deshalb verdient die Aufführung als denkwürdig in der Theatergeschichte vermerkt zu werden. Der neuerlichen Inszenierung wird, fürchte ich, solche Würdigung schwerlich widerfahren können, so löblich sie ist, zumal der Kreon von damals, Hans Gaukler, nun den greisen, überhasteten Boten spielt.
Das Gastspiel anläßlich der Berliner Festtage im Deutschen Theater traf
auf ein hellwaches, kommunikationsbereites Publikum. Doch die Aufführung im
Bühnenbild Franz Havemanns, eine barbarische Schädelstätte, blieb bis auf ein
paar aktuell wirkende Sentenzen sichtlich fern und diffus. Zwei Darsteller
versöhnten: Carmen-Maja Antoni vom Berliner Ensemble als Antigone und Wolf
Kaiser als Tiresias.
Die Antoni ist womöglich nicht die ideale Besetzung. Der Vergleich mit
der Weigel allerdings, deren sanft-strenges Antlitz mit einem Ausdruck
verzweiflungsvollen, stummen Schmerzes Franz Havemann erinnernd rechts oben ans
Bühnenportal hängte, scheint mir unschicklich. Sie
hatte die Antigone noch ganz unter dem Eindruck des Krieges gespielt. Ihre
Klage gegen den Aggressor Kreon mag insofern elementarer gewesen sein. Was bei
Carmen-Maja Antoni überzeugt, ist das Plebejische ihrer Antigone, die von daher
kommende Kraft ihres Handelns. Sie argumentiert mit bitterer, souveräner
Klugheit. Mit ihr erleidet eine heroisch Vernünftige eine tragische Niederlage,
stirbt eine sehend Weitsichtige.
Den blind Weitsichtigen gibt Wolf Kaiser.
Breitbeinig, schwerfällig tappt sein Tiresias herein, steht wie ein
hochragender, unerschütterlicher Fels in der Brandung und spricht in klarer,
jeden Gedanken wägender und setzender Diktion sein vernichtendes Votum gegen
den Tyrannen.
Peter Kuipers Kreon gefällt in den stillen,
nachdenklichen Momenten, im Wechsel zwischen trotziger Stiernackigkeit und nervösem
Abducken. Aber sobald er laut und böse wird, quetscht und knautscht er die
Silben bis zur Unverständlichkeit. Hier hat der Regisseur offenbar nicht zu raten
gewußt. Und mit seinen Erfindungen im Umgang mit dem Chor hatte er keine
glückliche Hand. Bei Brecht sind es die Alten von Theben, was ihren Argumenten
Gewicht gibt. Bei Bennewitz ist es eine lose Horde von Königssöldnern, die
theaternd Trubel machen. Obendrein sind sie akustisch kaum zu verstehen. Das ergibt
Phasen des Leerlaufs, die die Wirkkraft der Aufführung schmälern. Beifall daher
vor allem für die Protagonisten.
Neues
Deutschland, 24. Oktober 1989