„Bürgermeister Anna“ von Friedrich Wolf am Theater Greifswald, Regie Alfred Nicolaus

 

 

 

Zeitdokument und fidele Komödie

 

Gewiß war es ein Zufall, daß am Tage der Greifswalder Premiere in Leipzig die Agra 79 eröffnet wurde. Dort auf dieser Leistungsschau gibt es eine Halle, in der der Entwicklungsstand unserer Landwirtschaft im Jahre 1949, also vordreißig Jahren, durch zahlreiche Exponate vielfältig veranschaulicht wird. Auch Friedrich Wolfs »Bürgermeister Anna«, obwohl noch drei Jahre früher spielend, nämlich 1946, könnte ohne Zweifel in dieser Halle vorgezeigt werden. Das Stück ist ein anschauliches Zeitdokument für diese Jahre des Aufbruchs in eine neue Zeit.

Der Weg war bekanntlich ganz und gar nicht konfliktlos. Wolfs Stück behandelt eine — wie sich zeigt — noch heute aktuelle Thematik. »Schwarzbau« wird genannt, was außerhalb des Plans gebaut wird. Die junge Bürgermeisterin Anna baute anno 1946 gemeinsam mit den Frauen und einigen Männern aus eigenem Materialaufkommen des Dorfes — aber ohne Genehmigung. Das Dorf brauchte eine Schule, damit die Kinder nicht bei Wind und Wetter auf verrottetem Weg in den Nachbarort gehen mußten.

Damals schon wie noch heute: Wir können uns das Bauen neben dem Plan nicht leisten. Unsere Wirtschaft ist eine Planwirtschaft, und jeder Bau außerhalb des Plans ist im Grunde ein Bau gegen den Plan. Dennoch: Aktivisten der ersten Stunde wie diese Anna haben mit dazu beigetragen, daß wir heute Stadt und Land meinen, wenn wir vom einheitlichen sozialistischen Bildungssystem sprechen. In dieser Widersprüchlichkeit steckt etwas vom Reichtum und von der Schönheit unseres neuen Lebens, und Friedrich Wolf als ein parteilicher Entdecker neuer gesellschaftlicher Wirklichkeit hat seinerzeit bildhaft Lebendiges davon eingefangen.

Das Stück war 1950 nach seiner Uraufführung in Dresden eben wegen seiner »Schwarzbau«-Problematik umstritten. Aber Brisanz hat es heute nicht mehr, so aktuell die Thematik ist. Das Schulbau-Programm der vergangenen drei Jahrzehnte hat die Partisanen-Initiative der Bürgermeisterin Anna ganz einfach verblassen lassen. Heute lebt das Stück von dem nach wie vor komischen Konflikt zwischen der »Weiberwirtschaft«, die Anna angeblich mit ihrem Ringen um Gleichberechtigung einführt, und dem Starrsinn der Männer, die ihre tradierten Privilegien nun mal nicht gern verlieren möchten.

Natürlich amüsiert es auch heutige Zuschauer, wenn die Männer eines Dorfes von ihren Frauen allesamt als eine rechte Horde von Dorftölpeln behandelt werden, wozu sie sich freilich entsprechend dämlich aufführen müssen. Das tun sie denn auch, wenn sie sich vom Großbauern Lehmkuhl gründlich beschwatzen lassen. Die Attacke der Frauen richtet sich bei Wolf also nicht etwa gegen Dorftrottel als überkommene Theatertypen, sondern sie ist — so theatralisch einfältig wie auch immer — Kritik an der politischen Abhängigkeit und Rückständigkeit vieler Bauern jener Jahre.

Regisseur Alfred Nicolaus nun hat das Stück als eine Folge freundlich-possierlicher Begebenheiten in Szene gesetzt, als eine Auseinandersetzung, in der es 1946 nicht primär um harten Klassenkampf ging, sondern eher um so etwas wie einen innerbetrieblich-familiären Konflikt in dörflicher Idylle.

Der Eindruck dörflicher Idylle wird vor allem vom Bühnenbild Michael Gundermanns erweckt, das nicht die schweren Jahre des kargen Anfangs mitteilen will, sondern neben bemühter historischer Detailtreue auch fast märchenhaft-ferne Buntheit und Verspieltheit. Nun halte ich das freilich für eine richtige Art, dem Stück heutzutage beizukommen. Als ein komödisch-flammender Aufruf zur Eigeninitiative gegen bürokratische Planstrategen hat es noch nie getaugt. Es funktioniert im Gegeneinander von sich entfaltender Frauen-Emanzipation und männlichem Konservatismus. Dabei zündet die Komödie immer dann, wenn zur Attacke gegen die Männer geblasen wird, sie bleibt flau, wenn es um das Hin und Her zwischen Anna und Jupp geht.

Wolf hat da zwei Dickschädel gegeneinander geführt, die sich wenig Entwicklung abringen. Anna ist mit Beginn des Stückes die selbstbewußte, willensstarke Bürgermeisterin, die ihre Kraft für das Vorantreiben des Schulbaus unerschöpflich aus sich selbst herausholt. Und Jupp — aus der Gefangenschaft kommend — will sich seine fest gefaßte Vorstellung von Männervorherrschaft nicht so ohne weiteres mit Argumenten zerschlagen lassen. So vertritt Anna konsequent ihren neuen und Jupp ebenso hartnäckig seinen alten Standpunkt, womit sozusagen ein Grundwiderspruch der Geschlechter aktuell geblieben ist.

Die Anna scheint mir dabei von der Ausstattung wenig vorteilhaft bedacht. Gabriele Möller muß in einer bieder gefaßten Frisur und in einer Kleidung agieren, die der Anna etwas Hausbackenes geben, was das urwüchsig-kräftige und vor allem ursprünglich-politische Mädchen aus dem Dorfe im Grunde zurücknimmt. Dadurch verliert die Konsequenz, die sich Anna abverlangt, um den Pflichten der Bürgermeisterin treu zu bleiben und diese gegenüber dem eigenen Liebesverlangen durchzusetzen, an Schönheit. Und dies, obwohl Gabriele Möller deutlich immer wieder die weibliche Sehnsucht nach dem Partner anspielt, die sie bewußt verdrängt, wenn es sein muß, und der sie freien Lauf läßt, wo es angeht, um sich den störrischen Jupp letztlich doch einzufangen.

Der Jupp von Frank Trunz ist ein rechter großer Junge. Der Krieg hat keine Spuren hinterlassen, Jupp kommt in aller Unbekümmertheit aus der Gefangenschaft, versessen darauf, sich wieder ins alt-vertraute Dorfleben zu integrieren und seine Anna in Besitz zu nehmen. Viel betuliche, vielleicht manchmal etwas zu sehr gemeinte Zimmermanns-Behäbigkeit strahlt der freundliche Ohm Willem von Rudolf Reinhardt aus. Mit selbstbewußter, schnoddriger Direktheit agitiert und organisiert als Großbauer Lehmkuhl Martin Süssenguth. In weiteren Rollen u. a. Dorothea Rehm, Ursula Schoene-Makus, Gabriele Püttner, Joachim Puls und Wolfgang Bachmann.

Rundum eine ansehenswerte Aufführung, viel Applaus übrigens zur Premiere.

 

 

 

Theater der Zeit, 8/1979