„Amphitryon“ von Kleist am Deutschen
Theater Berlin, Regie Jürgen Gosch
Schauspielkunst von der man schwärmen kann
Jürgen Gösch ans Deutsche Theater
nach Berlin zu holen, ist - wie sich zeigt - eine gute Entscheidung des
Hausherrn. Der 1943 in Cottbus geborene Schauspieler und Regisseur Gosch war über
Parchim und Potsdam an die Berliner Volksbühne gekommen und hatte dort 1978
Büchners „Leonce und Lena" inszeniert. Nach Arbeiten in Hannover, Bremen
und Köln hatte Gosch dann etwas glücklos an der Berliner Schaubühne Regie geführt.
Jetzt am DT setzte er „Amphitryon", Kleists Lustspiel nach Moliere, in
Szene und erwies sich als glänzender Interpret des Dichters wie als
hervorragender Anwalt der Schauspieler. Die Buh-Rufer vom Dienst sollten sich
ihr Geld wiedergeben lassen. Von wem auch immer.
Dem Regisseur stand ein trefflicher
Bühnenbildner zur Seite. Donald Becker benutzte die tragische Szene Sebastiano
Serlios (1475 bis 1554), des Begründers der Perspektivbühne, eine gemalte
Häuserflucht mit Torbogen im Hintergrund, als tradierten Background für einen
in klassischen Kostümen vorgetragenen Dichter.
Vortrag aber nicht als zopfige Langeweile
mit arrangierten Salzsäulen und rhetorisch schönen Versen, sondern als berückendes
Spiel situationsgenauer Deutung Kleistscher Dichtkunst. Welche Fülle beredter
Haltungen und Vorgänge bietet dieser Text! Sofern sie der Regisseur zu
entdecken vermag. Ergebnis hier: ein Fest der Schauspielkunst. Selten geworden.
Kostbar.
Ich muß schwärmen. Von den
Schauspielern. Sie schwelgen in der Sprache, ohne sich in ihr zu verlieren. Sie
brechen in Leidenschaft aus, ohne sie zu zerfetzen. Sie ergehen sich in
anrührendster Empfindung, ohne zu sentimentalisieren. Sie nutzen die theatrale
Gebärde und sind doch immer konkret. Dagmar Manzel als Alkmene. Welch differenzierter
Reichtum des Gefühls und des Ausdrucks. Welch behutsam kluge Ironisierung der
Figur. Das gibt es nirgends sonst so nuanciert auf deutscher Bühne. Das sollte
man gesehen haben: Wie die Manzel charmante Fürstin ist, verunsicherte Ehefrau,
treu ihren Gemahl Liebende. Götz Schubert als Jupiter, ein strahlend souveräner
Gott, dem in Menschengestalt nicht die erhoffte Anerkennung widerfährt. Daniel
Morgenroth als Amphitryon, ein selbstbewußter Mann und Feldherr der Thebaner,
der seine Identitätskrise tapfer bekämpft. Margit Bendokat als Charis, eine
herrlich grannige Frau des Sosias. Thomas Neumann als Merkur, ein martialisch raunziger
Gott. Und Ignaz Kirchner als Sosias, ein nestroyisch verspielter Diener.
Man wird so bald keinen Kleistschen
„Amphitryon" zu sehen bekommen, bei welchem die Summe der Verwirrungen
und Identitätskrisen auf eine so überschaubare und zugleich so ergötzend komische
Reihe gebracht ist. Womit der Regisseur einfühlsam erzählt, daß die Liebe
einer Frau zu ihrem Mann, so sie eben wirklich Liebe ist, letztlich selbst von
einem Gott nicht erschüttert werden kann. Famos ironisch daher, mit kräftigem
Theaterdonner angekündigt, mit barocker Wolkenpracht umrahmt, des Jupiters
Offenbarung, mit der er wieder in die Vorhand kommt und dem betrogenen
irdischen Ehepaar Sohn Herkules verspricht. Zauberhaft auch das berühmte
finale „Ach" Alkmenes. Besinnlich, inbrünstig sanft von einem liebenden
Weib.
Stürmischer Beifall mit zahllosen
Bravos. Von den Buh-Rufern war bereits die unrühmliche Rede.
Neues
Deutschland, 18. Juni 1993