„Amphitryon“ von Heinrich von Kleist an der Schaubühne Berlin, Regie Klaus Michael Grüber

 

 

 

Vielsagendes „Ach“

 

In Klaus Michael Grübers Inszenierung des Lustspiels nach Molière „Amphitryon" von Heinrich von Kleist geht Jupiter am Ende ins Publikum ab. Er wird in Peter Simonischeks Gestaltung dadurch aber nicht sympathischer. Solch einem kaum sinnlichem Verlangen folgenden, sondern göttlichem Dünkel frönenden Gott möchte man nicht begegnen. Arme Alkmene!

Sie schreitet, nachdem Jupiter sich davongestohlen hat, noch einmal zur Drehbühnen-Mitte, hascht nach herabfallenden Schneeflocken, die ihr auf der Hand vergehn, tritt zwischen den sich schließenden Vorhang und haucht ihr weltberühmtes „Ach!" Jutta Lampe tut's vielsagend. Es könnte abschätzig nur das zerrinnende Kristall gemeint sein. Aber resignativ auch, und wohl eher, die folgenreiche Begegnung mit Jupiter. Immerhin wird sie Herkules gebären.

Die Zwiegespräche des ungleichen Paares finden weggerückt auf der Drehbühne des Hebbel-Theaters statt (wo die Berliner Schaubühne gastiert), umgeben von kahlem Gesträuch. Fast scheint's ein Olymp, wo die beiden thronen, immer von Sphärenklängen umtönt. Das Schloß in Theben darf seitwärts in der Kulisse angenommen werden (Bühnenbild: Gilles Aillaud). Kaum Bewegung. Nur das Licht wechselt ständig von dämmernd zu dunkel. Leere Spielfläche also. Platz für Kleist's Sprache. Sie drängt sich gleichsam akustisch zwischen Jupiter und Alkmene. Würdevoll, leidenschaftslos wird sie zelebriert.

Die statuare, wohltemperierte Spielweise verselbständigt sich und nimmt den Figuren jede spontane Aktion. Alkmene reagiert nicht einmal, wenn Jupiter sich offenbart. Weiter geht's pianissimo. Sie hält ihren Amphitryon nur mal eben für einen „verlorenen Menschen". Nichts sonst, keine Aufregung. Gewiß, Kleist ist nicht der frivole Molière. Aber so unsinnlich sah ich ihn noch nie.

Daß Regisseur Grüber auch anders kann, zeigt sein lustvoller Umgang mit dem plebejischen Personal. Udo Samel als Sosias ist das theatrale Ereignis des Abends. Hinreißend, wie dieser Schauspieler, dieser kleine korpulente Liebenswürdige, Pointe für Pointe liefert. Hat man solch herrlich putzigen Kerl schon gesehen? Er kokettiert mit dem Mond, mit den Göttern und mit dem Publikum. Er hakt sich naiv-dreist bei Merkur ein, den Gerd Wameling als vergnatzten Lakoniker gibt, und disputiert alert. Er ist unmittelbar und direkt immer der arme geschlagene Diener und immer der pfiffige Lustigmacher. Imogen Kogge hingegen muß die deftige Trine Charis ein wenig herstellen.

Otto Sander als Amphitryon möchte ich fast zu den Plebejern zählen. Er darf seine Irritationen vorn an der Rampe spielen. Und da zeigt er Realitätssinn für den gebeutelten Ehemann, der irgendwie auch Feldherr ist. Nur eben: Er ist in dieser geraden männlichen Aufrichtigkeit so unterschieden vom eitlen Jupiter, daß ein Weib Alkmene eigentlich keine Mühe haben müßte, sie zu unterscheiden.

Anhaltende Bravorufe eines begeisterten Publikums.

 

 

 

Neues Deutschland, 25. März 1991