“Aminta” von Torquato Tasso in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Francois-Michel Pesenti

 

 

 

Amor nicht unterm Publikum

 

War Torquato Tasso Amerikaner? Wenn in seinem berühmten Schäferspiel »Aminta« aus dem Jahre 1573 mit »Okay« reagiert wird, könnte man das fast annehmen. Aber natürlich hat der Übersetzer seine Hand im Spiel. Offenbar soll's, um recht zeitgemäß zu wirken, in der höfischen Hirten-Ro­manze gängig prosaisch zugehen. Keine Flucht in die Idylle, weder Etikette noch Natur, weder Musik noch Tanz in der karg­-robusten Inszenierung von Francois-Michel Pesenti.

In den zu einer »Arena« umfunktio­nierten Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin ist der Eiserne Vorhang geschlossen, der Guckkasten passe. Über der Mini-Spielfläche hängt ein Neonlicht-Baldachin gleich einer zu groß geratenen Dunsthaube. Das Geschehen findet in­mitten der Zuschauer statt. Ist also von allen Seiten sichtbar. Und sparsam ohne Bühnenbild. Der verbürgte Höhepunkt der italienischen Renaissance ist ganz aufs Wort gestellt.

Allerdings wird die schöne Unmittel­barkeit des Eindrucks beschädigt. Die Spieler kehren einem alleweil den Rücken zu. Andererseits muss man um den roten Faden nicht fürchten. Torquato Tasso, der empfindsam-blumige Dichter, ist wort­reich beim Philosophieren und ausführ­lich im Berichten über soeben hereinge­brochene Minne- und Horror-Ereignisse.

Schäfer Aminta hat sich in Nymphe Silvia verguckt. Aber die stolze Spröde, eine militante Jägerin, bleibt abweisend. Er verzweifelt, als sie von einem Wolf zerris­sen und gefressen scheint. Sie verzweifelt, als er aus Liebesnot gestorben scheint. Die wahrlich herzergreifend abgestandene Mär, eine Mischung aus Ekloge, Mythos und Burleske, puscht Regisseur Pesenti mit deliziöser Ironie und forciertem Kör­perspiel seiner Darsteller. Dabei überzieht Robert Gallinowski als Amintas Gefährte Thyrsis, liefert Text und Spiel zu routiniert-flapsig ab. Roman S. Pauls hingegen als Aminta findet gestisch variabel Ausdruck für die amüsanten Un­beholfenheiten eines unvermutet verlieb­ten Jünglings. Silvia, das Objekt der Be­gierde, mutet bei Bettina Hoppe ver­klemmt und blaustrümpfig an, zugeknif­fen die Augen, steif Arme und Hände. In­nere Unruhe teilt sie unsicheren Schrittes mit. Als das Herz zu zerspringen droht, fällt die Person schwer zu Boden, schreit, zuckt. Ganz sanft, gütige Vermittlerin Franziska Hayner als Freundin Daphne; noch sanfter, ein milder Hauch: Gabriele Heinz als Kupplerin Nerina.

Tim Lang trumpft auf als unglücklich verliebter Amor. Wie er als geiler Bock (Maske Wolfgang Utzt/Andreas Müller) seinen Ärger offeriert, ist eine echte Schau-Nummer. Zum Schluss peppt Katrin Klein die traurig endende Liebes-Romanze nochmals auf. Als elegante Ve­nus sucht sie mit Aplomb ihren missratenen Sohn und wundert sich wunderbar, wieso Amor nicht unterm Publikum weilt.

Die Kammerspiele als Raritäten-Kabi­nett? Warten wir ab.

 

 

 

Neues Deutschland, 9. März 2000