„Alte Meister“ von Thomas Bernhard in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Friedo Solter

 

 

 

Menschenhass als harmonische Karikatur

 

Faszination des gesprochenen Wortes. Sinnlichkeit des Begriffes. Jeder Gedanke wie zum Anfassen. Auf der Bühne der Kammerspiele des DT brillieren Walter Schmidinger als Musikkritiker Reger, Klaus Piontek als Schriftsteller Atzbacher und Dietrich Körner als Museumsdiener Irrsigler. Ihre Gestalten stammen aus Thomas Bernhards Roman »Alte Meister«, den Hans Nadolny und Friedo Solter kongenial adaptiert haben. Welt- und Staatsverdrossenheit pur. Politikerschelte gewaltig. Kunstkritik infam. Ein bewegendes, recht eigentlich zum Verzweifeln irres Vergnügen.

Der österreichische Prosaautor, Lyriker und Dramatiker Thomas Bernhard (1931-1989) und dessen schroffer Sarkasmus sind am Deutschen Theater nicht unbekannt. 1986 war seine Komödie von deutscher Seele »Vor dem Ruhestand« mit Inge Keller, Christine Schorn und Klaus Piontek in der Regie von Michael Jürgens und Friedo Solter zu erleben. 1989 inszenierten Peter Schroth und Peter Kleinert die Komödie »Der Theatermacher« mit Kurt Böwe in der Titelrolle. Stets fesselte des Dichters kultische Manier zwischen heimlicher Lebenstrotzigkeit und beißendem Hohn.

So auch diesmal. Auf der Bühne der Bordone-Saal der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien, von Hans-Jürgen Nikulka mit markanten Säulen, einer Wand, weit über die Zuschauer ragend, dem weißbärtigen Mann Tintorettos und einer samtbezogenen Sitzbank eingerichtet. Dort, in angenehmer Atmosphäre, stellt Atzbacher dem Publikum gewinnend freundlich den ihm bekannten Reger vor, der soeben Platz genommen hat. Ihm assistiert Museumsdiener Irrsigler, welcher den Reger ebenfalls bestens kennt, weil der seit über dreißig Jahren regelmäßig auf die Sitzbank im Bordone-Saal Anspruch erhebt. Nicht so sehr wegen der Kunst, wie man wenig später erfährt, sondern wegen der Frau, einer intelligenten, vermögenden Kosmopolitin, die er eines Tages dort getroffen und alsbald geheiratet hatte, die ihm aber vom Schicksal prompt wieder genommen worden war. Nun ist er vereinsamt, haßt er die Menschen, die Sonne. Ein beklagenswerter Gewohnheits-Zustand armseliger Zerrissenheit ist eingetreten.

Eine Paraderolle für den Österreicher Walter Schmidinger. Der Schauspieler, der sich vom Wohlklang seiner Stimme gern auch einmal ein wenig davontragen läßt, ist in der subtil konkretisierenden Regie von Friedo Solter von hinreißender Präsenz. Da sitzt ein vornehmer Herr gravitätisch in schwarz, den Hut nur einmal abnehmend, wenn er im Geiste seine tote Frau grüßt, ansonsten verhalten mit Stock oder Schal hantierend. Er scheint unrettbar abgeglitten in larmoyante Melancholie - und entpuppt sich als hellwacher, scharfsinniger Kritiker. Wobei Schmidinger noch den bitterbösesten Tadel in warmherzige Ironie verpackt. Man kann seinem Herrn Reger nicht gram sein, selbst wenn der Gift und Galle spuckt. Der Kunstsinnige verachtet die alten Meister als Vertreter katholischer Staatskunst, verabscheut die Politiker als Völkermörder, schmäht den Papst, verurteilt die Lehrer als Zugrunderichter, kann sich sogar über die mangelhafte »Toiletten-Kultur« Wiens alterieren.

Regers exquisit boshafte Schimpf- und Spott-Kanonade wird nur einmal unterbrochen; durch einen Engländer, den es auf die Sitzbank verschlagen hat, weil bei ihm zu Hause im Schlafzimmer auch dieser weißbärtige Mann Tintorettos hängt. Als der Brite (Friedo Solter bravourös) von Fälschung spricht, grinst Irrsigler überlegen (Körners etwas vierschrötiger, beflissener Staatsdiener ist ein Kabinettstück für sich). Schon wettert Reger weiter. Wozu er Anlaß hat. Was die Tragödie ist dieser Komödie.

Menschenhaß eines Verzweifelten in harmonischer Karikatur - ein Beispiel aus dem Leben, der »Senkgrube der Lächerlichkeit«, von Friedo Solter berückend klar serviert. Stürmischer Beifall zur Premiere.

 

 

 

 

Neues Deutschland, 6. Oktober 1997