„Adam Geist“ von Dea Loher im theater 89
Berlin, Regie Gabriele Heinz
Suche als Tragödie
Gruftig dunkel, und der Raum neu aufgeteilt. Verblüffend, eine Bühne vorzufinden, die von einem gewaltigen Tisch und ebenso mächtigen Stühlen dominiert wird - obwohl nur für eine von einundzwanzig Szenen so etwas wie ein Konferenztisch gebraucht wird.
Annette Braun hat die monströsen Möbel
für Dea Lohers Szenenfolge »Adam Geist« ins kleine Berliner theater 89 gebaut
und damit den Schauspielern wie der Regisseurin Gabriele Heinz Spielraum genommen.
Die Gestalten zwängen sich in engen Gängen, agieren auch auf der Tischplatte,
die dann Friedhof oder Stadtpark, Hütte oder Feldlager sein soll. Was nach
Kontakt verlangt, ist in die Breite gezogen; was unwichtig ist, gewinnt
unnötig an Bedeutung. Ein Vorteil: Die Zuschauer sitzen in Logen um den
Riesentisch herum und schauen herab aufs Geschehen.
Es geht um Adam Geist, einen jungen Österreicher
aus einer Kleinstadt an der österreichisch-deutschen Grenze, wo noch heute
mittelalterlich anmutende bigotte Gewohnheiten kaum von moderner Zeit
weggeräumt sind. Adam will raus aus der Enge, sucht einen Weg zum Licht, was immer
damit gemeint sein mag, gerät aber ins Schicksal wie in einen ihn stetig in die
Tiefe ziehenden Strudel, so dass daraus letztlich so etwas wie eine Passionsgeschichte
wird. Existenzielle Not, schier ausweglos.
Wobei Adam, zumindest in der Auffassung der
Regisseurin und in der prägenden Gestaltung von Eberhard Kirchberg, anfangs
fast ein wenig debil erscheint. Ein unruhiger, umtriebiger Bursche, zu aufsässig
für eine Lehre bei einem autoritären Klempnermeister (Thomas Pötzsch). Noch
bevor er etwas Rechtes gelernt hat, stirbt ihm die Mutter, und nun verliert er erst
einmal allen Halt. Auf dem Friedhof, am Grabe, wo er, obdachlos wie er ist, seine
Zeit verbringt, trifft er ein jung unschuldig Ding (Christina Große), ein Mädel,
dessen Mutter ebenfalls gestorben ist und eine Hure war. Wie der Zufall halt so
spielt
im Leben und also auch in der Dramatik! Das Mädel ist neugierig, Adam ist geil.
Sie stirbt ihm beim wilden Akt zur Mitternacht. Er fühlt sich schuldig, schneidet
sich die Pulsadern auf, landet in der Nervenanstalt.
Bis dahin hat die Geschichte einige Konsequenz, und der Adam Eberhard
Kirchbergs in seinem triebhaften Lebensdrang anrührende Unmittelbarkeit.
Schrilles, verzweifeltes Pathos eines vergebens Suchenden, Unverstandenen. Der
Darsteller kreiert einen Typ von raubeiniger Schale und innerer Unrast, hält
die Figur immer in der Glaubwürdigkeit, so abenteuerlich deren Lebensstationen
auch sind. Denn Autorin Dea Loher (Jahrgang 1964), tapfere Realitätssucherin,
Gegnerin egozentrischer Nabelschau, holt weit aus. Ihre Einfalle bräuchten
epische Ausführlichkeit, die die Bühne nicht bieten kann. Mit plastisch
kräftiger Sprache bewegt sie sich zwischen Mär und Wirklichkeit, mit ihrem Konflikt
erinnernd an Büchners Woyzeck und mit ihrer Handschrift an Franz Xaver Kroetz.
So ehrenwert das Anliegen, so fragmentarisch die weitere Umsetzung.
Adam wird in das Dealen von Rauschgift verwickelt, ergreift als Helfer
der Feuerwehr einen Brandstifter, verliert einen intimen Freund, wird
verdächtigt, versucht, in der französischen Fremdenlegion unterzutauchen,
türmt, macht Karriere bei der faschistischen Organisation »Die Volkstreuen«,
desavouiert deren einsitzenden Führer, landet in Bosnien, mischt im
Bürgerkrieg mit, übt rechtende Selbstjustiz an einem mordenden Landsknecht,
hängt sich auf...
Regisseurin Gabriele Heinz hat nicht zum Rotstift gegriffen, hat mit
Respekt eine möglichst adäquate szenische Umsetzung versucht, die ihr eine
schauspielerisch solide Truppe mit Hingabe liefert. Franziska Kleinert noch zu
nennen, Mirko Zschocke, Moritz Sostmann und David Hirsch. Ein deftiges Spiel,
leicht satirisch zuweilen, nachhaltige Demonstration der Vergeblichkeit des
Mühens einer menschlichen Kreatur um Güte und ein wenig Glück.
Neues
Deutschland, 13. Juni 2001