„Die Abzocker“ von Melanie Gieschen im theater 89 Berlin, Regie Johanna Schall

 

 

 

Man wünscht sich die Pest an den Hals...

 

Die 1971 in Limburg an der Lahn ge­borene und seit 1995 in Berlin le­bende Melanie Gieschen skizziert mit ihrem Schauspiel »Die Abzocker« ein zeitgenössisches Genrebild: Leben und Frust der emsigen Mitarbeiter einer Wer­beagentur. Das sind Leute vom Schlage derer, die einem zuweilen per Telefon den Bedarf für irgendein Produkt einreden wollen und die man nur zum Schweigen bringt, indem man den Hörer auflegt.

Der Chef einer solchen Agentur, hier Kronauer geheißen und von Alexander Hetterle als ein salopp-fahriger Möchte­gern-Playboy kreiert, verlangt von seinen Beschäftigten selbstlosen Einsatz, sonst droht ihnen die Entlassung. Was im Team für ein Klima robuster Gehässigkeit und umtriebiger Hektik sorgt.

Melanie Gieschen, deren erstes Schau­spiel »Gnadenlos« 2000 im theater 89 ge­zeigt wurde, illustriert in ihrem zweiten, jetzt von Johanna Schall am nämlichen Thea­ter inszenierten Stück ausführlich die Sentenz einer ihrer Figuren, die da lautet: »Ich wünsche dir die Pest an den Hals, aber ich liebe dich!« Man weiß relativ schnell, dass Rackern für eine Werbeagen­tur ein wahrhaft elender Job ist.

Und man fragt: Soll's das schon gewesen sein im Aufmerksamkeit erheischen­den Bühnenbild von Anne-Kathrin Hen­del? Will uns die Autorin lediglich infor­mieren über diesen neuartigen Berufs­stand im Turbo-Kapitalismus? Will sie Mitleid erwecken für die oft am Rande der Verzweiflung lebenden Anzeigen-Verkäu­fer? Mitgefühl erregen für deren Kreuz-und Quer-Liebschaften im ansonsten total frustrierten Team? Ihr ging es, wie sie be­kennt, um »tragische Darstellung« von Leuten, die »ohne eigentliche existenzielle soziale Not« leben und arbeiten.

Just hier lahmt das Stück. Die Probleme bleiben privat und Angelegenheit der Fir­ma Kronauer, sind nicht schlüssig, gar so­zialkritisch mit der Gesellschaft vernetzt. Selbst die forciert agierende Truppe des theaters 89 schafft es nicht, mit dem Spiel gleichsam eine Metapher zu setzen für den allgemeinen Betrugs-Zustand bun­desdeutscher Sozietät.

Im Übrigen agiert da kein Held, mit dem man sich identifizieren könnte. Der verzweifelt und zunächst glücklos um Ge­schäftserfolge kämpfende Mitarbeiter Stumpf (sehr eloquent Thomas Pötzsch), der das Zeug zum Helden haben könnte, gerät an den Rand des Geschehens. Mögli­cherweise ergäbe sich echte Tragik, wenn der Mann sich von der Firma lösen, einen eigenen Weg gehen und scheitern würde. Doch bei Gieschen schwört er am Ende er­geben auf Herrn Kronauer, bleibt er brav systemkonform.

Und der spontane Mord der enttäusch­ten Teamleiterin Lesker an ihrem Boss? Ein Aufschrei? Ein Fanal? Die Frau (Grit Riemer zwischen cooler Erfüllungsgehil­fin und empfindsamem Weib) hatte sich irgendwann als Geliebte Hoffnungen ge­macht. Nun hat sie erkannt, dass sie nur schamlos benutzt worden ist und flippt aus. Durch ihre Tat avanciert sie schwer­lich zur tragischen Heldin. Mord ist keine Antwort, realiter lediglich Keim des Terro­rismus. Hier fällt das Drama naturalis­tisch hinter Brecht zurück.

Wenn der Abend dennoch ein Erfolg ist, dann Dank der Regisseurin. Zuweilen zwar etwas zu quirlig, zu auffällig auf Tempo und Dynamik gestellt, versteht es Johanna Schall, sanft ironisiert schaubar zu machen, dass hier einige geplagte Bür­ger gewissermaßen untergründig versu­chen, sich in inhumaner Arbeitswelt ein bisschen Menschlichkeit zu bewahren. Obwohl sachlich kühler, ja kaltschnäuzi­ger Umgang dominiert, obwohl sensible Empfindsamkeit bis hinein in leise, behut­same Sprache aufgesetzt scheint, fast wie ein Fremdkörper wirkt, bezieht das Spiel eben aus dieser Widersprüchlichkeit seine anrührenden Impulse.

Eindrucksvoll, wie die ansonsten spröd-aggressive Teamleiterin im Geschäftsinte­resse eine Liaison mit Mitarbeiter Fricke eingeht und plötzlich an dieser Liebe hängt, sogar an sie glaubt; und wie ande­rerseits dieser Fricke (Götz Schulte) in eis­kalter Berechnung in Liebe macht und dennoch zärtliche Emotionen auslöst. In solchem Wechselbad der Gefühle ähnlich auch die anderen Kollegen des Teams, ge­spielt von Susanne Menner, Antje Widdra und Robert Schupp. Keine abwertend ins Verschrobene verzerrte Typen also, son­dern hartnäckig um ihre Lebensexistenz ringende Menschen. Das ist heutzutage schon allerhand für zwei Stunden Theater in Berlin.

 

 

 

Neues Deutschland, 5. März 2002